Alaska
genommen und nichts dafür gegeben. Noch einmal vier Jahre, und aus mir wäre ein zweiter Kasm Hooker geworden, der die. Kinder bei Laune hält, und sie wären nach der Schule nichts Besseres gewesen als am ersten Tag.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und um sie zurückzuhalten, unterbrach sie ihre Gedanken barsch: »Zum Teufel damit! Die beiden, die ich wirklich geliebt habe, konnte ich ja nicht einmal vor dem Tod bewahren.« Und als sie an Amy und Jonathan dachte, rief sie voller Verzweiflung: »Vergeudete Jahre. Vergeudetes Leben.« Wenn ein Dorfbewohner ihr in diesem Augenblick zugeflüstert hätte: »Kendra! Die Menschen in diesem Dorf, die Männer, die dich mit der Decke hochgeworfen haben - wir werden unser ganzes Leben an dich denken. Dein Geist ist unter uns gewandelt, und wir haben ihn gefühlt«, sie hätte ihm keinen Glauben geschenkt.
Sobald sie sich einmal damit abgefunden hatte, dass sie die einzige Frau auf der Eisinsel war, trat in Kendras Leben die aufregende Abwechslung, die sie sich immer erhofft hatte. Afanasi, als Manager der Station, wies ihr eine bezahlte Arbeit zu; sie wickelte alle anfallenden Schreibarbeiten zwischen den einzelnen Abteilungen ab, und die Wissenschaftler waren dankbar, dass jemand diese Aufgabe für sie übernahm. Zuerst war sie enttäuscht darüber, dass man ihr als Frau offensichtlich unterstellte, sie wäre nur zu Sekretärinnentätigkeiten fähig, und sie beklagte sich bei Rick: »Es ist nicht gerade das, was eine emanzipierte Frau heutzutage anstrebt.« Als sich jedoch zeigte, dass sie mit der Überwachung des Informationsflusses eine entscheidende Position einnahm - denn sie wusste die neuesten Nachrichten vor allen anderen gestand sie ein: »Ich muss sagen, mein Job hat doch gewisse Vorteile.« Sie bot jedem ihre Hilfe an, der nur irgendwie Verwendung für sie hatte, und machte sich so allmählich unentbehrlich.
Der eigentliche Lohn aber, den ihr die mutige Entscheidung einbrachte, Rick über Funk einen Antrag zu machen, und ihr späteres Beharren, mit ihm zusammen auf die Eisinsel zurückzukehren, waren die langen, oft ganz spontanen Diskussionen, die diese berühmten Wissenschaftler während der endlosen Stunden führten, wenn durch die ewige Dunkelheit zwischen den Monaten November und Februar menschliche Kontakte und die Bereitschaft, die Probleme der Menschheit zu analysieren, entscheidend für das Überleben im Eis wurden. Es kam häufig vor, dass Kendra mit mehreren Wissenschaftlern an einem Tisch in der Messe saß und einer beiläufig bemerkte: »Nehmen wir einmal an, die Sowjetunion würde es irgendwie schaffen und ganz Norwegen unter ihre Kontrolle bringen. Sie würde dann genau fünfzig Prozent des arktischen Ozeans beherrschen.« Und ein anderer konterte: »Wenn auf der anderen Seite Alaska, Kanada und Grönland ihre gegenseitigen Interessen weiter gemeinschaftlich verfolgen, dann kontrollieren sie die Hälfte, die dem Nordpol am nächsten liegt, und die hat ihre eigenen Vorteile.«
Irgendwann im Verlauf der Debatte wurde dann meist nach einer Karte verlangt, und da Kendra in ihrer Tasche immer noch, die längst zerknitterte Kopie der Landkarte aus dem »National Geographic« aufbewahrte, dessen Titelbild von dem kleinen Eskimomädchen sie einst so tief berührt hatte, versammelten sich die Wissenschaftler oft um sie und benutzten ihre Karte, obwohl sie über viel genauere amtliche verfügten. Aus diesen Gesprächen erfuhr sie auch, dass die Inselgruppe Svalbard, die sie nur unter dem Namen Spitzbergen kannte, für militärische Zwecke im arktischen Ozean von entscheidender Bedeutung war, und alle sagten voraus, dass sie eines Tages auch genutzt würde, denn nur in dem Graben vor Svalbard war das Meer tief genug, um im Kriegsfall »intelligente« U-Boot-Technik einzusetzen, alle anderen Ausfahrten wären zu seicht. »Und weil darüber hinaus«, erklärte ein Wissenschaftler, der in der Armee ausgebildet worden war, »der Svalbardgraben mit dem Atlantik verbunden ist, kommt dem Meer eine viel stärkere Bedeutung zu als dem Pazifik.« Der Experte für den Pazifik widersprach dem heftig, und ersterer musste zugeben: »Ich denke jetzt ausschließlich an U-Boot-Jäger, bezogen auf die wichtigsten Schifffahrtslinien . Überlegen Sie doch nur, was für ein Tummelplatz der arktische Ozean würde, wenn U-Boote hier auf der Lauer liegen, mal eben schnell in den Atlantik huschen und den gesamten Schiffsverkehr zwischen Nordamerika und Europa
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