Alba und Albion
in den Palast zu bekommen, um alles mit eigenen Augen sehen zu können.
Die Leute um mich herum begannen, mich als erwachsene Frau zu behandeln und, falls ich doch mal aus der Rolle fiel, so blickte man dezent darüber hinweg. Auch das Zusammenleben mit meiner Tante wurde immer herzlicher. Sie mochte Stephen anscheinend sehr gerne. Sobald er uns besuchte, verhielt sich recht befremdlich und ich erkannte sie fast nicht wieder. Ständig lachte und kicherte sie mit ihm und er schien eine großen Spaß daran zu haben, ihr allerlei Witziges zu erzählen. Trotz allem genoß ich es, abends vor dem Kamin zu sitzen, wenn Sie die Spielkarten herausholte, um gemeinsam mit mir Patiencen zu legen.
Einmal fragte sie mich, wie ich Stephen kennengelernt hatte, was mich sehr überraschte. Aber ich machte ihr die Freude und erzählte ihr von unseren früheren Streichen, die viele Jahre zurücklagen und von seinem eher unkonventionellen Heiratsantrag. Sie sah mich verträumt an und lächelte.
„Bei mir und meinem Theobald war es fast genauso. Er bat um meine Hand, als wir gerade auf dem Tanzparkett waren. Ich dachte, ich hätte mich verhört, aber als ich nicht sofort Antwort gab, sagte er nur: ‘Dann ist ja alles klar, Emily. Gehen wir zu deinen Eltern.’ Und das taten wir dann auch.“ Ihre Augen glitzerten im Kerzenschein, während sie von ihrem Sherry kostete. „Ja, so war er, mein Theo. Von Etikette hat er nie viel gehalten. Er nannte es verlogen.“
„Wie alt war er denn damals?“ Neugierig sah ich sie an und hielt mit den Karten inne.
„So alt wie ich. Eigentlich waren wir beide noch Kinder.“ Sie verzog ihren Mund zu etwas, was als Lächeln durchgehen konnte und drehte die nächste Karte um, die sie konzentriert beäugte. Mit einem Knall, der mich aufschrecken ließ, legte sie die Karte an ihren Platz. „Und nach vier Monaten schritten wir gemeinsam aus der Kirche!“
Energisch stemmte sie sich bei diesen Worten vom Tisch hoch und verließ das Zimmer.
Erschrocken starrte ich ihr nach. Hatte ich bei ihr traurige Erinnerungen geweckt? Ich fühlte mich zutiefst beschämt, denn das hatte ich nicht beabsichtigt. Fast bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich wieder mal zu neugierig gewesen war. Aber ich wollte es nun mal wissen!
Die Türe ging erneut auf und Tante Emily kam mit einer kleinen Schatulle zurück und sie sah eigentlich nicht traurig aus. Dennoch stand ich ruckartig auf. „Tante Emily, ich wollte dich nicht kränken. Wenn ich gewußt hätte,daß es dich zu sehr aufregt, von der Vergangenheit zu reden, dann -“ Doch sie winkte ab.
„Ach was! Denkst du, ich fange wegen so was an zu heulen? Da kennst du mich aber schlecht. Setz’ dich!“
Ich gehorchte und sie schob ungeduldig die Karten beiseite, daß einige zu Boden fielen. Als ich mich bücken wollte, um sie aufzuheben, hielt sie mich zurück. „Das machen die Mädchen morgen.“
Feierlich schob sie die aus schwarz lackiertem Holz bestehende Schmuckschachtel in die Mitte des Tisches und öffnete sie. Ich klatschte begeistert in die Hände, als sie den Deckel hob. Eine kleine Melodie erklang aus den Tiefen des Schatzkästchens. Hinter dem zurückgeklappten Deckel befand sich ein kleiner Spiegel, in dem sich das Bild eines Schwanenpaares spiegelte und sich auf der Plattform wie von Geisterhand drehte.
„Oh! Das ist aber entzückend!“, rief ich.
„Siehst du hier?“ Sie zeigte an die Seite. „Hier muß man es aufziehen.“ Vorsichtig drehte sie den Kasten zu mir herüber. „In den Fächern ist Schmuck. Such’ dir aus, was dir gefällt. Sozusagen als vorzeitiges Hochzeitsgeschenk.“
Verzückt sah ich das Kästchen von allen Seiten an und rührte mit dem Zeigefinger in dem bunten Schmuck herum, zog hier eine kostbare Perlenkette heraus, dort eine Diamantbrosche. Doch das, was mir auf Anhieb ins Auge stach, war eine goldene Rose, deren Blütenblätter aus Rosenquarz und Diamanten, die Blätter aus Smaragden bestanden. Fragend sah ich sie an und sie nickte wissend.
„Ja, du hast den gleichen Geschmack wie ich damals.“ Überraschend warm lag nun ihre Hand auf meinen Arm. „Vor der Hochzeit saß ich wie du jetzt vor einem Schmuckkästchen und durfte mir etwas aussuchen. Allerdings von meiner zukünftigen Schwiegermutter.“ Sanft drückte sie mich. „Und ich habe mir die gleiche Anstecknadel ausgesucht, wie du jetzt.“
Ich verfiel in Schweigen und mir fehlten ausnahmsweise die Worte. Ab und zu konnte man das Zischen eines
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