Alba und Albion
harten Boden.
Plötzlich fiel ein großer breiter Schatten über uns, und eine brummige und stämmige Gestalt baute sich bedrohlich vor uns auf.
„Nun kommt mal ganz schnell beide da heraus!“
Erschrocken und mit klopfenden Herzen stoben wir auseinander. Ein tonloses Oh-mein-Gott entfuhr uns beiden gleichzeitig. In einer anderen Situation hätten wir darüber gelacht, doch nun stand Mary vor uns, die Hände in die Hüfte gestemmt und brummte mich an.
„Susanna, du kommst sofort hier raus!“
Schwerfällig versuchte sie, durch die Äste hindurchzukommen, um mich zu fassen. Dabei rieselten einige der noch am Busch befindlichen verdorrten Blätter langsam zu Boden. Hektisch standen wir auf und Robbie schob mich so unsanft hinter sich, daß ich stolperte und beinahe wieder am Boden lag. Über seine Schulter hinweg versuchte ich, etwas zu erspähen.
Ängstlich blickte ich zu ihm hoch. Er war kreidebleich. Mit fahrigen Bewegungen strich er sich das Haar aus dem Gesicht und wischte seine Hände an der Hose ab, zittrig und sichtlich schockiert. „Miss Mary, bitte lassen Sie mich erklären -“
„Was gibt’s da noch zu erklären? Ich habe genug gesehen!“ Und in meine Richtung wimmerte sie: „Willst du mir das Herz brechen, Kind? Komm’ jetzt sofort hier heraus! Dein Vater sucht dich seit einiger Zeit!“
Oh Gott, mein Vater! Wenn er mich in diesem Aufzug sah, dann konnte mich nur noch ein Wunder retten. Ängstlich versuchte ich mich hinter dem breiten Rücken zu verstecken. Doch ich wußte, das Unvermeidliche konnte ich nicht weiter hinauszögern. Mutig, mit zittrigen Gliedern und noch zittrigerer Stimme trat ich aus Robbies Schatten heraus und stellte mich nun doch dem drohenden Gewitter.
„Nein!“ Mit erhobenem Kopf starrte ich an ihr vorbei. „Ich werde nicht ins Haus gehen. Ich gehe nie wieder zurück. Ich bleibe bei Robbie!“
Er starrte mich entsetzt an und drehte mich zu sich.
„Was sagst du da? Natürlich gehst du wieder zurück!“ Und so leise, daß nur ich es hören konnte, flüsterte er: „Wir finden einen Weg. Aber nun geh’.“
Mit einem sanften Stoß schob er mich in Richtung Mary, die völlig aufgelöst ihre Tränen trocknete. Er trat einen Schritt vor und wollte sie berühren.
„Miss Mary, bitte -“ In seinem Blick lag tiefer Schmerz, doch sie wandte sich mit einer ruckartigen Drehung von ihm ab.
„Wir werden später darüber reden. Susanna, komm jetzt!“
Widerwillig gehorchte ich. Sie nahm mich an den Schultern und zusammen traten wir den Rückzug an. Noch einmal blickte ich mich um.
„Robbie!“, rief ich leise, aber er war im Dunkel verschwunden.
Auf dem Weg zurück sprach Mary kein Wort. Es kam mir vor, als wenn die ganze Welt stehen geblieben sei. Kein Lüftchen, kein Geräusch war zu hören. Nur der knirschende Kies unter unseren Schuhen und ab und zu das Schluchzen von Mary, die ständig den Kopf schüttelte. Das war zuviel für mich. Ich blieb stehen und hielt sie fest.
„Mary! Bitte rede mit mir!“
Jeder in seinen unglücklichen Gedanken gefangen, sahen wir uns lange an.
„Bitte“, flehte ich sie an und drückte ihre fleischige Hand. „Sag’ etwas! Irgend etwas!“
Sie legte ihre warme Hand auf die meine und drückte sie.
„Dein Vater wartet auf Dich, mein Kindchen.“
Mary war trotz allem mein Engel in der Not.
Als Vater meinen schmutzigen Aufzug sah, donnerte er sofort so laut los, daß ich unwillkürlich jegliche Farbe aus dem Gesicht verlor. Mamma saß still in einer Ecke und beobachtete die ganze Szenerie ohne Worte und ebenso blassem Gesicht und einem Taschentuch vor dem Mund. Meine Gedanken kreisten nur um Robbie und es waren nur Bruchstücke, die ich wahrnahm, während Mary mich wie eine Löwin verteidigte.
„Sir, ich muß gestehen, ich habe nicht aufgepaßt, als es passierte. Wenn hier jemand eine Bestrafung verdient, dann bin ich es!“
Entsetzt sah ich zu Mary, die sich vor meinem Vater mit vorgeschobener Unterlippe aufgebaut hatte. Es folgte ein tödliches Schweigen. Mary würde nicht bereit sein, nachzugeben - dafür kannte ich sie zu gut. Nur das knisternde Kaminfeuer brach die Stille. Gespannt blickte ich von Einem zum Anderen. Vater schien kurz zu überlegen und strich sich mit dem Finger über die Augenbraue, dennoch wurde sein Gesicht bei diesen Worten etwas freundlicher.
„Mary, ich weiß das zu schätzen, daß sie dieses -“, er blickte mich böse an, „Gör vor Strafe bewahren wollen.
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