Alba und Albion
hielt erstaunt inne, starrte auf den malträtierten kleinen Körper in seiner Hand und legte ihn vorsichtig auf einige große und relativ saubere Blätter.
Er blickte mich an und zog mich auf den Boden neben sich.
„Hör’ zu, Mädel. Roy hat mir gesagt, du kommst aus einem vornehmen Haus. Das entschuldigt manches an deinem Verhalten. Dann erkläre ich dir jetzt mal Einiges.“
Er räusperte sich und spuckte ins Feuer, daß es zischte. „Wir haben beide Hunger und deshalb habe ich diese beiden Vögel gefangen. Wenn wir sie essen, haben wir wieder genug Kraft, um unseren Weg fortzusetzen. Lassen wir sie einfach liegen, so ist das eine große Sünde.“
„Warum?“ Mit großen Augen sah ich ihn an.
„Weil man keinem Lebewesen aus Langeweile und Zeitvertreib das Leben nehmen soll“, sagte er und sah mir dabei fest in die Augen. Ich verstand ganz gut, was er damit meinte. In meinen Kreisen führte man zur allgemeinen Belustigung Treib- und Hetzjagden aus. Dafür hatte ich jedoch nie etwas übrig gehabt. Aus den hintersten Ecken meines Gehirns fiel mir nun das Gebet von Robbie an die Göttin Arduinnah, Beschützerin des Waldes, wieder ein.
„Ja, ich verstehe.“ Tief holte ich Luft und verschaffte mir so den nötigen Mut. „Dann zeigen Sie mir bitte, was ich zu tun habe.“
„Aye. Gut, Mädel. Zuerst mußt du -“
In freundlichem Ton und mit wenigen Worten erklärte er mir, was ich zu tun hatte, um hieraus etwas Genießbares zu machen. Anfangs hörte ich abweisend mit verschränkten Armen und schmollendem Gesicht zu, empfand ich es doch unter meiner Würde, nun auch noch seine Anweisungen wie eine gewöhnliche Dienstmagd auszuführen, bis ich merkte, daß er es aufrichtig meinte. Ich nahm seine Ratschläge an, wie ich was am Besten machen sollte, wie ich die Vögel füllen könnte, solange wir im Freien rasteten, welche Gewürze verwendet wurden, die er aus seiner enormen Zaubertasche herausfischte.
Und das Ergebnis schmeckte einfach köstlich!
Augenzwinkernd schob er mir noch einen Schenkel zu, den ich liebend gern annahm.
Angenehm gesättigt und mit einer wohligen Wärme in meinem Körper, empfand ich es als krönenden Abschluß, einen kleinen Schluck aus seiner zweiten Feldflasche zu nehmen. Auch wenn ich Whisky nicht besonders möchte, so leistete er in der Kälte doch gute Dienste. Ich lehnte mich an einen Baum zurück und spürte die entspannende Wirkung.
„Seamus, darf ich Sie was fragen?“
Er nickte, blickte mich jedoch nicht an, während er emsig weiter kaute.
„Wie haben Sie mich gefunden?“
„Roy hat mich hinter dir hergeschickt.“
„Ja, das dachte ich mir bereits. Aber - wie haben Sie mich in meinem Versteck finden können?“ Ich beugte mich etwas vor, um jedes Wort genau zu verstehen.
„Bin die ganze Zeit in deiner Nähe gewesen. Von Anfang an. Hinter dir.“
Ich war sprachlos! Nachdem er das gesagt hatte, wußte ich, welche tapsenden Geräusche ich gehört hatte, während ich in Todesangst dahin stolperte. Es war Seamus, der in einiger Entfernung hinter mir her schlich und kein menschenfressendes Monster, wie ich befürchtet hatte. Und wenn er die ganze Zeit hinter mir war, dann hatte er auch meine Angstschreie gehört.
„Aber, wenn Sie sich die ganze Zeit in meiner Nähe befanden, warum haben Sie sich nicht bemerkbar gemacht?“ Ich schluckte und spürte meine Tränen aufsteigen. „Ich hatte solche Angst ganz alleine - in der Dunkelheit.“
„Wenn ich dich berührt hätte, wärst du tot umgefallen. Und das wollte ich Roy nicht antun.“ Brummend schob er sich ein weiteres Stück Fleisch in den Mund.
„Ja, da haben Sie wohl recht“, murmelte ich.
„Und darum hab ich gewartet, bis du schliefst und hab’ dann Wache gehalten, obwohl es nichts Gefährliches gab. Kein Wolf, kein Bär. Nichts, wenn man mal von einem schmatzenden Igel absieht, der vor meinen Füßen seines Weges ging.“ Er rülpste leise und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, nachdem er einen großen Schluck aus seiner Flasche genommen hatte.
„Danke, Seamus“, sagte ich leise. Er blickte kurz auf, nickte und ich konnte ein leichtes Lächeln in seinem sonst so grimmigen Gesicht erkennen.
Nachdem er mit seinem Essen fertig war, stand er auf und ging zum nahe gelegenen Bach. Ich lehnte wieder an den Baum und schloß kurz die Augen, dick eingehüllt in meinen warmen Umhang und mit schwindeligem Gefühl vom Alkohol. Als ich sie wieder öffnete, saß Seamus wieder an seinem Platz vor dem
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