Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
Sabbat in die Synagoge gehen, mich aktiv in der Gemeinde engagieren und Hebräisch lernen …«
»Dann müsste ja auch jeder Katholik das große Latinum haben«, scherzte Alfred.
»Mir war es auf jeden Fall wichtiger, richtig Deutsch zu lernen«, die Russin nippte an ihrem Kaffee, »wie sollte ich sonst meinen Beruf ausüben?«
»Also arbeiten Sie hier auch als Journalistin?«, fragte Renan überrascht.
»Ich schreibe regelmäßig für eine russischsprachige Zeitung, die hier erscheint. Außerdem nehmen deutsche Zeitungen auch alle paar Wochen einmal Artikel von mir an. Zudem arbeite ich noch als Übersetzerin.«
»Sie haben aber schon in Russland Deutsch gelernt«, hakte Alfred nach.
»Nein. Ich konnte kein Wort, als wir hier ankamen. Das war keine Voraussetzung für die Einreise.«
»Alle Achtung«, Alfred nickte anerkennend, »Sie sprechen perfekt, und das in … sechs Jahren!«
»Ich tue, was ich kann«, antwortete sie, ohne dabei bescheiden zu klingen.
»Spricht Ihr Mann Deutsch?«, fragte Renan.
»Er kommt ganz gut zurecht.«
»Haben Sie es mit ihm zusammen gelernt?«
»Nein. Er sprach schon vorher etwas Deutsch.«
»Ach, und woher konnte er es?«
»Er war früher eine Zeit lang in der DDR stationiert.«
»Wirklich«, Alfred schien elektrisiert, »wann war denn das und wie lange?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Valentina und zwirbelte eine Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Sie scheinen überhaupt nicht viel von Ihrem Mann zu wissen«, Renan kniff die Augen zusammen.
»Da könnten Sie Recht haben!«
»Warum sind Sie ausgerechnet hierher gekommen?«, wechselte Renan das Thema. »Konnten Sie sich aussuchen, in welcher Stadt Sie leben würden?«
»Zuerst kamen wir in eine zentrale Stelle nach Berlin. Dort muss man warten, bis man endgültig als Kontingentflüchtling anerkannt wird. Wenn man dann irgendwo Arbeit findet, kann man dorthin ziehen«, die Russin schien der Erklärungen etwas müde, doch Renan ließ nicht locker.
»Also kamen Sie nach Nürnberg, weil Sie hier bei dieser Zeitung arbeiten konnten?«
»So ist es.«
»Oder wollten Sie unbedingt weg aus Berlin?«
»Mein Mann wollte nicht mehr in einer Großstadt leben. Ich halte es auf dem Land nicht aus, da war diese Stadt der beste Kompromiss.«
»Warum nicht Dresden, Kiel, Freiburg?«, fragte Alfred. »Es gibt bestimmt nicht nur hier eine russischsprachige Zeitung.«
»Mein Mann hat den Atlas aufgeschlagen und auf Regensburg gezeigt«, erklärte Valentina. »Er fährt gerne nach Tschechien, weil ihm die Sprache vertraut vorkommt und es dort billige Zigaretten gibt. Von daher kam für ihn nur der Ostteil von Bayern in Frage. Nürnberg lag am nächsten.«
»Warum nicht Ostdeutschland?«, Alfred hob die Arme. »Wenn er früher schon mehrere Jahre in der DDR gelebt hat …«
»Vielleicht gerade deswegen nicht«, sie legte den Kopf zur Seite und blickte die Besucher abwechselnd an.
»Und wie oft ist er dann nach Tschechien gefahren?«, fragte Alfred.
»Nicht so oft, drei oder vier Mal im Jahr. Meistens dann, wenn wir wieder Zigaretten gebraucht haben.«
»Waren Sie manchmal dabei?«
»Ich bin nicht aus Russland ausgewandert, um Kurzurlaub in Tschechien zu machen«, sie nahm einen Schluck Kaffee.
Es entstand abermals eine Pause. Renan erhob sich und inspizierte den Raum mit unverhohlenem Interesse. Zu entdecken gab es jedoch nichts Außergewöhnliches: den Abfuhrplan des gelben Sacks, mit Tesafilm an einen der Hängeschränke geklebt, eine Pinnwand mit russisch beschrifteten Notizzetteln und ebensolchen Postkarten … Wahnsinn, dachte Renan, der könnte ihr hier eine Karte aus Rio geschrieben haben und wir würden es nicht erkennen! In dem Buffet befand sich eine Ansammlung von Tellern und Gläsern aus Kristallglas und auf der Ablage stand neben einer Schale mit Äpfeln ein großes Glas mit eingelegten Gurken und kyrillischem Etikett. Scheint ja eine echt russische Spezialität zu sein, dachte Renan, sich an den Abend bei den Balenkows erinnernd.
»Kennen Sie diesen Mann?«, Alfred hatte mittlerweile zwei Fotos aus seinem Jackett gefischt.
»Nein«, sagte Valentina nach einer kurzen Bedenkzeit, »ist das der Mann, den Nikolai ermordet haben soll?«
»In der Tat«, seufzte Alfred und legte ihr das zweite Bild vor, »und was ist mit dem hier?«
»Tut mir Leid«, antwortete sie, das Foto hoch haltend »nie gesehen. Wer soll denn das sein?«
»Das frage ich mich seit siebzehn Jahren«, er rutschte seinen Stuhl nach
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