Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
hinten und schlug die Beine übereinander.
»Er ist auch tot«, stellte Valentina fest.
»Ziemlich. Er wurde 1985 ermordet.«
»Soll das auch mein Mann gewesen sein?«, sie schien eher interessiert als verärgert zu sein.
»Da bin jetzt ich mal ahnungslos«, antwortete Alfred mit unüberhörbarem Unterton, »wenn er sich zu der fraglichen Zeit in Westdeutschland aufgehalten hätte, würden mir schon ein paar Fragen einfallen.«
»Halten Sie Ihren Mann für fähig, einen Mord zu begehen?«, fragte Renan, die ihre Inspektion mittlerweile auf dem kleinen Balkon beendet hatte.
»Nein«, antwortete Valentina, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Sind das Salzgurken da in dem Glas?«, rief Renan durch die offen stehende Fenstertür.
Jetzt drehte sich die Russin um und sah sie herausfordernd an: »Wollen Sie eine?«
»Nein, danke«, Renan winkte ab, »ich hatte erst letzte Woche das Vergnügen. Ist nicht mein Geschmack.«
»Dann sind wir schon zwei.«
»Gibt es etwas, das Ihnen hier fehlt, das Sie vermissen?«, Renan verließ den Balkon und lehnte sich gegen das Küchenbuffet.
»Momentan vermisse ich meinen Mann.«
»Das tun wir auch«, entgegnete Renan scheinbar ungerührt.
»Aber ich meinte, dass Sie ja aus bestimmten Gründen hierher gekommen sind. Würden Sie jetzt sagen, dass diese Entscheidung richtig war? Würden Sie es wieder tun?«
»Warum wollen Sie das wissen?«, die Augen der Russin verrieten erstmals eine Spur von Verwirrung.
»Ich bin neugierig«, Renan hob die Hände.
»Wenn man die Umstände direkt vergleicht, leben wir hier im Luxus«, Valentina steckte sich eine weitere Zigarette an.
»Wenn Sie hart arbeiten und ehrgeizig sind, gibt Ihnen dieses Land eine Chance – manchmal. Aber diese Gesellschaft ist ängstlich, hysterisch und unfähig, sich selbst zu helfen. Die Menschen schimpfen und klagen, aber sie bewegen sich nicht aus eigener Kraft. Man fühlt sich oft gelähmt. Es gibt zu wenig Vertrauen in die Zukunft. Das ist es, was mir fehlt – außer Nikolai.«
»Ja, gut, Frau Kashevska«, Alfred blickte Renan fragend an, die knapp nickte, »wir müssen Sie bitten, die Stadt bis auf weiteres nicht zu verlassen, da wir Ihre Mithilfe in den nächsten Tagen wahrscheinlich noch öfter benötigen.«
»Vielleicht sollten Sie mich einsperren«, sie drückte ihre Zigarette aus und stand auf.
»Das wird nicht notwendig sein«, versicherte Renan.
1983 wäre der russische Bürgerrechtler Igor Myschinski beinahe für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Dass es so weit kam, verdankte er einem gegen ihn inszenierten Schauprozess in Moskau. Nikolai verfolgte diesen Fall interessiert, da er wusste, dass Jewgenji in der fünften Hauptverwaltung damit zu tun hatte. Myschinski war einer der bekanntesten Führer der so genannten Helsinki-Gruppen. Diese Menschenrechtsorganisationen hatten sich gegründet, nachdem die UdSSR 1975 die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet hatte. Sie sahen es als ihre größte Aufgabe an, fortan auf jeden Verstoß des Systems gegen die Menschenrechtsbestimmungen der KSZE öffentlich hinzuweisen. Myschinskis ukrainische Helsinki-Gruppe tat dies so erfolgreich, dass sogar der Westen auf ihn aufmerksam wurde, was schließlich 1981 zu seiner Verhaftung führte. Es gehörte zur Strategie des KGB, verhaftete Dissidenten in Schauprozessen zu mehrjährigen Haftstrafen oder Arbeitslager zu verurteilen. Dies konnte nur dann richtig Wirkung zeigen, wenn die Angeklagten im Laufe der Prozesse ihre Schuld öffentlich zugaben und sich von ihren Taten distanzierten. Außerdem sollten sie andere Dissidenten verraten und sie auffordern, ihre staatsfeindlichen Aktivitäten einzustellen. Dazu bedurfte es der Kooperation der Angeklagten und es war Aufgabe der fünften Hauptverwaltung, sie in den Monaten, bevor es zum Prozess kam, weich zu kochen. Oft brachte schon die lange Trennung von Frau, Kindern und anderen nahe stehenden Personen etwas. Des Weiteren konnte gedroht werden, dass genau diesen Menschen furchtbare Dinge zustoßen würden. In anderen Fällen wurden den Inhaftierten gefälschte Pressemeldungen aus dem Westen vorgelegt, die zum Beispiel die Existenz von Menschenrechtsverletzungen in der UdSSR in Abrede stellten und die Dissidenten zu Putschisten erklärten. Sehr gerne wurden auch KGB-Spitzel als Zellengenossen eingeschleust und Nikolai war sich sicher, dass sein alter Freund Jewgenji mehrere Wochen mit Myschinski in dessen Verlies
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