Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
gut Deutsch, mit einem harten slawischen Akzent.
»Frau Kashevska«, sagte Alfred sanft, »Sie tun Ihrem Mann keinen Gefallen, wenn Sie ihn decken. Er sollte sich schnellstmöglich stellen, das wird sich strafmildernd auswirken.«
»Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen«, antwortete sie mit einem leichten Kopfschütteln, »ich weiß nicht, wo er ist, er meldet sich nicht. Ich kann Ihnen nicht helfen, tut mir Leid.«
»Hat er vielleicht ein Handy?«, fragte Renan.
»Nikolai, ein Handy!«, lachte Valentina. »Sie wissen nicht viel über russische Männer, glaube ich.«
Es entstand eine Pause. Valentinas grüne Augen hefteten sich an Renans dunkelbraune und übertrugen verschlüsselte Botschaften. Renan war nicht bereit, sie zu dechiffrieren oder ihren Blick als Erste zu senken. Blicke konnten manchmal Waffen sein und sie schoss fleißig zurück, wenn auch nicht mit scharfer Munition. Diese Frau mochte auf der anderen Seite stehen, aber sie verdiente Respekt, dieses Gefühl wurde Renan nicht los.
»Frau Kashevska«, mischte sich Alfred ein, »Ihr Mann steht unter Mordverdacht!«
»Das haben Sie schon zwei Mal gesagt«, erwiderte sie, ihren Blick von Renan abwendend.
»Wollen Sie dazu nicht Stellung nehmen?«, er beugte sich nach vorne.
»Wenn Sie ihn verdächtigen, werden Sie Gründe haben«, sie schüttelte wieder leicht den Kopf, »die Polizei in Deutschland ist sehr korrekt. Nicht so wie bei uns zu Hause.«
»Wo ist denn das, Ihr Zuhause?«, fragte Renan.
»Das ist endlich eine gute Frage«, lächelte Valentina, »gute Fragen können aber nicht so einfach beantwortet werden … Geboren und aufgewachsen bin ich in Leningrad.«
»Und Ihr Mann?«
»Nikolai kommt aus einem Dorf im Ural«, sie nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse.
»Wo haben Sie Ihren Mann kennen gelernt?«, Alfred zückte Kuli und Notizblock.
»In St. Petersburg, 1993.«
»Was haben Sie beide dort gemacht?«
»Wir versuchten zu leben.«
»Und wovon?«, Renan spürte, dass sie sich der Wellenlänge dieser Frau langsam annähern konnte.
»Ich habe als Journalistin gearbeitet und Nikolai war Hilfsarbeiter auf einer Werft.«
»Das ist nicht gerade eine alltägliche Paarung«, provozierte Renan.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Valentina und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück.
»Als Journalistin sind Sie doch gebildet, haben wahrscheinlich sogar studiert – und dann ein Hilfsarbeiter?«
»Wir haben uns das erste Mal in der St. Petersburger Staatsbibliothek getroffen.«
»Tatsächlich?«, fragte Renan, um einen arroganten Tonfall bemüht.
»Nikolai war nicht immer ein Werftarbeiter.«
»Sondern?«
»Offizier in der Armee.«
»Und warum hat er die Armee verlassen?«, fragte Alfred, dem die Dynamik zwischen seiner Kollegin und der Russin noch weitgehend entgangen war.
»Fragen Sie ihn selbst«, Valentina nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und blies den Rauch durch die Nasenlöcher hinaus.
»Das würde ich ja gerne«, Alfred wurde langsam ungeduldig.
Valentina Kashevska zuckte mit den Schultern.
»Wann sind Sie dann nach Deutschland gekommen?«, fragte Alfred sachlich weiter.
»1997.«
»Wer wollte denn weg, Sie oder Ihr Mann?«, übernahm Renan wieder das Ruder.
»Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt«, sie kippte ihre Kaffeetasse leicht und betrachtete die ölige schwarze Flüssigkeit, »aber es war Nikolai, der darauf gedrängt hat, dass wir fortgehen.«
»Ihr Mann hätte ohne Sie keine Chance gehabt, nach Deutschland einzuwandern, richtig?«
»Da!«
»Und Sie selbst sind keine Deutschstämmige, sondern als eine von 10.000 jüdischen Einwanderern gekommen, die jedes Jahr hier einreisen dürfen.«
»Richtig.«
»Und wie ist das genau bei Ihnen vor sich gegangen?«, fragte Alfred interessiert.
»Wir haben uns beim deutschen Konsulat in St. Petersburg gemeldet. Ich habe mit meiner Geburtsurkunde und meinem alten sowjetischen Pass nachgewiesen, dass ich jüdischer Abstammung bin, und erklärt, dass ich gerne nach Deutschland ziehen und meinen Glauben wieder ausüben möchte«, Valentina drückte ihre Zigarette aus, »wir sollen nämlich helfen, Ihre jüdischen Gemeinden wieder zu beleben.«
»Und wie machen Sie das?«, fragte Renan.
»Gar nicht«, Valentina lächelte zynisch. »Ich galt in der Sowjetunion als Jüdin, weil mein Vater jüdischer Abstammung war. Die israelitische Gemeinde hier würde mich aber nur anerkennen, wenn ich eine jüdische Mutter hätte. Außerdem müsste ich jeden
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