Albert Schweitzer
tragischsten Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts. Schweitzers Lebenswerk wäre nie und nimmer möglich gewesen ohne die stille Solidarität und aufopfernde Liebe dieser wunderbaren, außergewöhnlichen Frau. Helene stand, was die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit anbelangt, nie so im Rampenlicht wie ihr weltbekannter, im Guten so überdurchschnittlicher Lebensgefährte. Doch das kann und darf ihren Anteil am Gelingen des gemeinsam aus Berufung geschaffenen Lebenswerkes nicht schmälern.
Im Vergleich zu Albert Schweitzer ist die Anzahl der deutschsprachigen Publikationen über Helene Bresslau geradezu spärlich. Die früheste umfassendere Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 1965. Marianne Fleischhack hat sie geschrieben. Das Buch trägt den schlichten Titel „Helene Schweitzer. Stationen ihres Lebens“ und ist eine liebevolle Würdigung von Leben und Werk der vielseitigen, umfassend gebildeten und emanzipierten Weggefährtin Albert Schweitzers. 1984 stellte Elfriede Bomze-Bomberger im Namen des „Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital-Lambarene“ eine kleine Textsammlung mit schönem Bildmaterial über Helene zusammen. Sie trägt den merkwürdig anmutenden Titel „Helene Schweitzer. Sein treuester Kamerad“. Diese ungewöhnliche Bezeichnung geht zurück auf die Widmung, die Schweitzer seinem Buch „Kultur und Ethik“ (1923) voranstellte: „Meiner Frau, dem treuesten Kameraden“. Die bisher umfangreichste und schönste Biografie hat die Ärztin und Philosophin Verena Mühlstein 1998 vorgelegt: „Helene Schweitzer Bresslau. Ein Leben für Lambarene“. Dieses wertvolle literarische Denkmal ist eine wahre Fundgrube, denn die Autorin hat sich dabei auf Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und bis dato unveröffentlichtes Quellenmaterial gestützt. In diesem Buch wird auch deutlich, wie groß der Anteil Helenes am gemeinsamen Lebenswerk Lambarene und an Schweitzers geistigem Schaffen war. Gegen Ende des Buches findet sich ein wunderbares Zitat von Roland Schütz, das die große Gemeinsamkeit zwischen Helene und Albert erhellt: „Ich habe den Eindruck, dass sie nicht im Schatten des großen Mannes lebt, sondern in seinem Licht.“
Helene Bresslau, 1908
Albert Schweitzer und Helene Bresslau
Anlässlich des 125. Geburtstags von Helene (2004) verfasste Gisela Kegler eine Broschüre über Schweitzers Frau. Auch deren Titel lehnt sich an die erwähnte Widmung; hier heißt es: „Mein bester Kamerad“. Natürlich finden sich in den zahlreichen Büchern über Albert Schweitzer auch immer wieder Würdigungen über die Frau an seiner Seite. Es würde zu weit führen, sie hier zusammenzustellen. Auch in den Rundbriefen stößt man vereinzelt auf Würdigungen Helenes.
Die schönste Quelle, um das Wachsen und die bis zum Entschluss, nach Afrika zu gehen, sich ständig vertiefende Beziehung zwischen den beiden bedeutenden Menschen zu verstehen, ist ohne Zweifel ihr Briefwechsel der Jahre 1902 bis 1912 (dem Hochzeitsjahr). Nirgends lässt sich besser nachvollziehen, wie Helene und Albert durch die gemeinsame Aufgabe, einem humanitären Ziele dienen zu wollen, in den zehn Jahren vor der Eheschließung zueinander gefunden haben. Dieser Briefwechsel wurde erst 1992 von Rhena Schweitzer Miller (der einzigen, inzwischen verstorbenen Tochter) und dem Schweitzer-Schwager Gustav Woytt herausgegeben: „Albert Schweitzer – Helene Bresslau. Die Jahre vor Lambarene. Briefe 1902–1912“.
Wer war nun diese Helene Bresslau, die Frau an Schweitzers Seite? Es ist nicht leicht, auf ein paar Seiten der Größe dieser Frau gerecht zu werden. Helene wurde am 25. Januar 1879 in Berlin geboren. Ihre Mutter Caroline, geborene Isay, stammte aus dem Rheinland, der Vater Harry war ein Bankierssohn aus Niedersachsen. Er musste schon früh familiäre Verantwortung übernehmen. Sein Vater war aus finanziellen Gründen (Konkurs der Bank) in die USA ausgewandert. Die Mutter starb bald darauf. So hatte sich Harry um die jüngeren Geschwister zu kümmern, unterstützte auch, so gut es ging, den vereinsamten Vater in Amerika. In Berlin studierte Harry Geschichte und Philologie, versah gegen ein recht bescheidenes Gehalt die Stelle eines Erziehers in einem jüdischen Waisenheim. Die Bresslaus waren assimilierte Juden, gehörten also der jüdischen Gemeinde an, ohne jedoch aktiv am religiösen Leben beteiligt zu sein. Ihre drei Kinder Ernst, Helene und Hermann wurden in einer protestantischen Gemeinde getauft. So war Helene eine
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