Albert Schweitzer
Darin hatte sich dieser zustimmend zu Schweitzers „Die Mystik des Apostels Paulus“ geäußert (April 1930).
Im Hause der Witwe des bedeutenden Hellenisten Ernst Curtius lernte Schweitzer die akademische Welt Berlins näher kennen. Bei einer dieser Gesellschaften ließ jemand während eines Gesprächs die Bemerkung fallen: „Ach, was! Wir sind ja doch nur alle Epigonen.“ Dieser Ausspruch – so Schweitzer – schlug bei ihm ein wie ein Blitz, machte er ihm doch schlagartig bewusst, was er gefühlsmäßig schon länger empfunden hatte: Philosophisch gesehen gab es eigentlich keine Neuschöpfungen mehr, sondern nur noch die gelehrte Auseinandersetzung mit schon Gesagtem. Der Gedanke vom Epigonentum wurde zur Initialzündung für Schweitzers Vorhaben, den Zustand der Kultur und die Gründe für ihren Niedergang zu beschreiben.
Die Berliner Zeit war für Schweitzer eine glückliche Lebensphase. Er genoss die weltoffene, aufgeschlossene Atmosphäre der aufstrebenden künftigen Metropole, den lebensbejahenden, heiteren, liberalen Geist, der in gesellschaftlichen Kreisen Berlins herrschte. Paris erschien ihm demgegenüber geradezu verstockt konservativ und geistig zerrissen.
In den letzten Julitagen 1899 kehrte er nach Straßburg zurück, um die Promotion zum Doktor der Philosophie abzuschließen. Obwohl er hinter den hohen Erwartungen seiner Lehrer Ziegler und Windelband zurückblieb(er hatte nach eigenem Bekunden das Studium der Lehrbücher vernachlässigt), bestand er das mündliche Examen.
Ziegler empfahl ihm nach der Promotion, sich an der Philosophischen Fakultät zu habilitieren, um dort eine Karriere als Hochschullehrer anzustreben. Schweitzer entschied sich aus einem für ihn schwerwiegenden Grund jedoch für die Habilitation bei den Theologen. Er wollte das ihm wichtige Predigen nicht aufgeben, was er andernfalls gemusst hätte, weil es die Philosophen nicht gerne sahen, wenn einer ihrer Fakultätskollegen zugleich als Prediger tätig war. „Nun war mir das Predigen aber ein innerliches Bedürfnis. Ich empfand es als etwas Wunderbares, allsonntäglich zu gesammelten Menschen von den letzten Fragen des Daseins reden zu dürfen.“
Am 1. Dezember 1899 wurde Schweitzer Lehrvikar der Gemeinde St. Nicolai, dann – nach knapp bestandener Prüfung – im Juli 1900 regulärer Vikar. Er hatte nun die Nachmittagspredigten zu halten und dreimal wöchentlich den Konfirmandenunterricht zu erteilen. Dazu schrieb er: „Als Ziel meiner Unterweisung nahm ich mir vor, die Wahrheiten des Evangeliums ihren Herzen und ihrem Denken nahezubringen und sie in der Art religiös werden zu lassen, dass sie den später an sie herantretenden Versuchungen zur Religionslosigkeit widerstehen könnten.“ Während der Frühjahrsferien vertiefte er seine Orgelstudien bei Widor in Paris. Bei einem dieser Paris-Aufenthalte lernte er um 1905 den bedeutendenSchrifsteller und Pazifisten Romain Rolland kennen, mit dem ihn eine herzliche Freundschaft verbinden sollte.
Die Zeit als Lehrvikar nutzte Schweitzer, um seine theologische Dissertation zu schreiben. Mit einer Arbeit über „Das Abendmahlproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der historischen Berichte“ erwarb er im Juli 1900 den theologischen Doktortitel (= Lizentiat). Im darauffolgenden Jahr habilitierte er sich mit einer Schrift über „Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu“ als Privatdozent an der Straßburger Universität. Am 1. März hielt er seine Antrittsvorlesung über die Logoslehre im Johannesevangelium und nahm im Sommersemester seine reguläre Vorlesungstätigkeit mit einem Kolleg über die Pastoralbriefe auf.
In Absprache mit Professor Holtzmann hielt Schweitzer im Sommersemster ein zweistündiges Kolleg über die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. „Der Stoff packte mich so, dass ich mich, nachdem ich mit dem Kolleg fertig war, erst recht in ihn versenkte.“ Ergebnis dieser Vertiefung in die Forschungsmaterie war schon 1906 das Buch „Von Reimarus zu Wrede. Eine Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“. In späteren Auflagen (ab 1913) erschien das erweiterte Werk unter dem schlichten Titel „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“. Dieses frühe theologische Hauptwerk fand in theologischen Fachkreisen große (durchaus auch widersprechende) Beachtung und begründete seinen Ruf als liberaler Theologe. NilsOle Oermann würdigt in seiner 2009 vorgelegten schönen Schweitzer-Biografie das
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