Albert Schweitzer
Christin jüdischer Herkunft.
Sie war elf Jahre alt, als die Familie nach Straßburg übersiedelte. Der Vater Harry hatte einen Ruf als Ordinarius für Geschichte an die Kaiser-Wilhelm-Universität erhalten. Dies war für einen deutschen Juden eine außergewöhnliche Karriere. 28 Jahre – die glücklichsten seines Gelehrtenlebens – sollte Harry Bresslau in Straßburg wirken dürfen. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg büßte er seine Stelle ein; er starb im Oktober 1926 nachschwerer Erkrankung. Die Mutter Caroline starb Mitte Dezember 1941.
Die vielseitig begabte Helene war im Unterschied zu ihrem späteren Ehemann von Beginn an eine ausgezeichnete Schülerin. Sie besuchte die Lindnersche Höhere Mädchenschule (benannt nach deren Direktorin Berta Lindner, einer bemerkenswerten, klugen und sehr engagierten älteren Dame von großer pädagogischer Ausstrahlung). Hier waren die deutschen Beamten-, Professoren-, und Offizierstöchter unter sich, denn elsässische Kinder besuchten diese Schule nicht. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Freundschaft mit Marianne und Elly Knapp, der späteren Ehegattin des Journalisten und ersten deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss.
Konfirmandenunterricht erteilte Pfarrer Engelmann in der Straßburger Gemeinde St. Wilhelm. Er war ein aufrechter Liberaler und von Kopf bis Fuß Rationalist. Bei ihm lernte Helene – anders als das sture Auswendiglernen von Bibel- und Liedversen – die Bibel gründlich zu lesen. Pfarrer Engelmanns Denkart war wie ein Vorgeschmack auf den liberalen und rationalistischen Geist Albert Schweitzers, und ganz offensichtlich ist diese geistige Grundhaltung bei der heranwachsenden Helene auf fruchtbaren Boden gefallen. Für das aufgeweckte Mädchen bedeuteten Glaube und Vernunft künftig jedenfalls keine Gegensätze.
In der Konfirmandenzeit erhielt sie auch die ersten Impulse für ihr späteres soziales Engagement. Sie schlosssich dem „Confirmandinnen-Verein für Armenpflege und innere Mission“ an. Man besuchte gewissenhaft regelmäßig die Waisenhäuser und kümmerte sich um benachteiligte Kinder.
Helene beendete ihre Schulzeit mit Bestnoten, begann mit dem Studium am Lehrerinnenseminar, das der Lindnerschen Schule angegliedert war. Sie bewältigte das auf zwei Jahre konzipierte Pensum innerhalb eines Jahres und wurde per Sondergenehmigung mit 17 Jahren zur Prüfung zugelassen. Auch wenn der erreichte Abschluss nicht ganz so glänzend war wie der Schulabschluss zuvor, konnte sie doch stolz sein auf das bestandene Examen. Nun hatte sie zwar die Befähigung zum Unterricht an einer Höheren Mädchenschule, entschied für ihren Lebenslauf jedoch anders. Weil ihr die Musik eine „Quelle des Glücks und der Freude“ bedeutete, begann sie mit dem Studium von Klavier, Gesang und Musiktheorie am Straßburger Konservatorium.
Wir schreiben inzwischen das Jahr 1898. Am 6. August heiratete Helenes gute Freundin Lina Haas den Baurat Willibald Conrad. Zu den geladenen Gästen gehörte auch ein elsässischer Pfarrerssohn namens Albert Schweitzer. Da solche gesellschaftlichen Anlässe sorgfältig geplant wurden, wies man jeder Dame einen bestimmten Tischpartner zu; im Falle Helenes war das eben dieser Pfarrerssohn, ein junger Mann mit blendenden Manieren, selbstsicherem Auftreten, charmant undgut aussehend, zudem hochgewachsen. Helene, von Haus aus ein gepflegtes Hochdeutsch gewohnt, konnte es sich nicht verkneifen, in der Konversation mit dem jungen Mann dessen Elsässisch gelegentlich zu korrigieren. Der nahm es gelassen hin, hörte ihr aufmerksam zu und machte ihr Komplimente. Verena Mühlstein beschreibt die Situation: „Sie ist ganz hingerissen von seinem Charme und voller Bewunderung, weil er überdies ein fantastischer Tänzer ist. Sie unterhalten sich über Musik und Literatur, und er erzählt von seinen Plänen, das Wintersemester in Paris bei Verwandten zu verbringen, um an der Sorbonne zu studieren.“
Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob es schon an diesem Abend zwischen den beiden jungen Menschen „gefunkt“ hat. Der Verlauf des späteren Briefwechsels legt eher den Schluss nahe, dass die tiefe Liebe zwischen ihnen allmählich gewachsen ist und dass man das Jahr 1902 als Beginn ihrer innigen Zuneigung annehmen darf. Aber das wird wohl für immer ihr persönliches Geheimnis bleiben. Zumindest dürfte bei Helene ein nicht geringes Interesse an ihrem Tischpartner ausgelöst worden sein. Albert begleitete seine junge Tischdame nach
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