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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Muenster
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die Nachfolge Jesu ganz ernst nehmen.
    Aber der gemeinsame Radausflug hatte zudem etwas Trauriges für Helene: Albert hatte ihr nämlich auch mitgeteilt, dass er nicht heiraten werde. Sein Plan war es, sich ganz dem Dienst am hilfsbedürftigen Mitmenschenzu widmen und kein normales, bürgerliches Leben zu führen. Er beabsichtigte ganz konkret, Waisenkinder bei sich aufzunehmen, sich um diese armen Geschöpfe zu kümmern. Helene wusste um den Ernst seiner Absichten. Auch sie beschloss daraufhin für sich, ehelos zu bleiben, ohne freilich die tiefe Freundschaft zu Albert aufzugeben.
    Obwohl sie Freude am Studium der Kunstgeschichte hatte, spürte sie doch, dass dies nicht ihr Lebensinhalt sein könnte. Ihre Kräfte und ihr Engagement sollten anderen Menschen zugute kommen. Im Sommer 1902 nahm sie deshalb ein Angebot aus England an, für ein Jahr als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Musik tätig zu werden. Sie freundete sich mit der Russin Lena Meksin an, die in Straßburg studiert hatte und ihren Lebensunterhalt als Übersetzerin verdiente. Gemeinsam war ihnen die Liebe zur Literatur und das Interesse an sozialen Fragen.
    In den Slums von London lernte Helene das Elend der armen Bevölkerung kennen. Sie war sehr beeindruckt von der Arbeit des Arztes und Sozialpädagogen Thomas John Barnados, der sich hingebungsvoll um verarmte Straßenkinder und behinderte Jugendliche kümmerte.
    In der Arbeit als Lehrerin an einem Mädchenpensionat in Brighton fand Helene nicht die gesuchte Erfüllung. Im Dezember 1902 gab sie die Stelle auf, blieb aber noch bis Mai 1903 auf der Insel und verdiente ihren Unterhalt mit privaten Französischstunden. Außerdem übersetzte sie zusammen mit ihrer russischen Freundin Novellenvon Anton Tschechow und Maxim Gorki. Daneben engagierte sich Helene in der Waisenfürsorge.
    Nach ihrer Rückkehr nach Straßburg wurde Helene als ehrenamtliche Pflegerin in der Betreuung alleinstehender Mütter und deren Kleinkinder tätig. Sie lernte dabei die bedrückende Armut und Not dieser Frauen und Kinder kennen. Die Säuglingssterblichkeit war in Straßburg zu jener Zeit erschreckend hoch, insbesondere unter den unehelich geborenen Kindern. Nur etwa die Hälfte der kleinen Menschenkinder erreichte das zweite Lebensjahr. Helene machte Hausbesuche in den betroffenen Familien und klärte die zum Teil hilflosen Mütter über richtige Säuglingspflege auf.
    Albert war in der Zwischenzeit zum Direktor des Thomasstifts ernannt worden und damit für die Ausbildung der angehenden Pfarrer verantwortlich. Seine Pläne, Waisenkinder bei sich aufzunehmen, wurden durch bürokratische Engstirnigkeit vereitelt.
    Die außergewöhnlich tiefe Freundschaft zwischen Helene und Albert hatte unter der mehrmonatigen Trennung nicht gelitten. Pfingsten 1903 unternahm der Radelclub einen Ausflug nach Günsbach. Erstmals lernte Helene den Heimatort ihres Freundes und seine Familie kennen. Weil ihre Eltern sich dem Plan einer Russlandreise widersetzten, verbrachte sie den folgenden Winter bei ihrer Freundin, der Malerin Johanna Engel, in Berlin. Albert war verstört über diese abrupte Abreise. Einerseits gestand er der Freundin völlige Freiheit undSelbständigkeit zu, wünschte dies sogar ausdrücklich; andererseits sehnte er sich nach Helenes Nähe, den geistigen Austausch mit der intelligenten, liebenswerten und attraktiven jungen Frau.
    Auch Helene war in dieser Zeit sehr niedergeschlagen; sie litt an einer heftigen Depression und suchte nach einer verantwortungsvollen, erfüllenden Aufgabe.
    Als Vorbereitung auf die berufliche Tätigkeit einer Waisenhausinspektorin in Straßburg absolvierte sie 1904 eine dreimonatige Ausbildung zur Krankenpflegerin in Stettin. Der Dienst im Krankenhaus war äußerst anstrengend, doch er half ihr, die Identitätskrise zu überwinden. Helene erholte sich anschließend bei einer Tante in Hamburg und nahm danach die Stelle in Straßburg an.
    Inzwischen hatte Albert in einer Broschüre der Pariser Missionsgesellschaft von der bitteren Not der Menschen im Kongo gelesen und den Entschluss gefasst, dort als Missionar seine Absicht, bedürftigen Mitmenschen zu helfen, in die Tat umzusetzen. Ende Dezember 1904 teilte er Helene diesen Entschluss mit. Sie war die erste, die davon erfuhr. Da ihn die Missionsgesellschaft wegen seiner liberalen theologischen Haltung als Missionar ablehnte, beschloss der inzwischen 30-jährige Albert, ein Medizinstudium zu absolvieren, um als Arzt nach Afrika zu

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