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Albert Schweitzer

Albert Schweitzer

Titel: Albert Schweitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Muenster
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Beendigung der Festlichkeiten artig nach Hause. Es sollte Frühjahr 1901 werden bis zum nächsten Wiedersehen.
    Zusammen mit ihren Eltern brach Helene im Herbst 1899 zu einer halbjährigen Reise durch Italien auf. Die dort gewonnenen kulturellen und historischen Eindrücke veranlassten sie nach der Rückkehr, ein Studiumder Kunstgeschichte zu beginnen. Als erfolgreiche Absolventin des Lehrerinnenseminars hatte sie die Berechtigung erlangt, sich an der Straßburger Universität einzuschreiben.
    Eine einschneidende Episode für Helene war gewiss die Bekanntschaft mit den beiden jungen Theologen Eduard Kuck und dessen Freund Rudolf Spindler. Helene schätzte es, sich mit ihnen über tiefgreifende religiöse Fragen intensiv zu unterhalten. Die oft oberflächlichen Plaudereien bei den unvermeidlichen gesellschaftlichen Anlässen waren ihr lästig, ja zuwider. Sie hielt solche unverbindliche Konversation für pure Zeitverschwendung. Besonders mit dem Vikar Kuck verband sie bald eine engere Freundschaft, und er wurde zum häufigen, gern gesehenen Gast im Hause Bresslau. Vater Harry sah in ihm wohl auch eine angemessene Partie für seine Tochter, hoffte er doch insgeheim, dass die geistig quicklebendige und selbständige Helene sich dann wie von selbst in die damals übliche Rolle der Frau als Hausfrau und künftige Mutter fügen würde. Doch es zeigte sich bald, dass die „Chemie“ zwischen den beiden jungen Menschen nicht in der Weise stimmte, dass Helene in eine dauerhafte Bindung eingewilligt hätte. Aus der angedachten Verlobung wurde nichts, Helene löste schweren Herzens die Freundschaft. Immerhin trennte man sich in so gutem Einvernehmen, dass Kuck auch weiterhin bei den Bresslaus zu Gast war und Helene später sogar die Patin seines ersten Sohnes Rudolf wurde.
    Sie zog ihre Lehren aus dem zerbrochenen ersten Verliebtsein. Als sie später in Albert Schweitzer einen neuen Freund gefunden hatte, gelang es ihr, den Kummer endgültig zu überwinden, und sie vermochte offen über die frühe schmerzliche Erfahrung zu reden. In einem Brief vom Mai 1902 schrieb sie an Albert: „Ich habe mich früher oft gefragt: Sind denn all die tausend Mädchen, die da glücklich werden dürfen, so viel besser als ich! – und war mir doch, bei aller Erkenntnis meiner Fehler, bewusst, nicht gerade ein schlechter Mensch zu sein!“ Helene sah ein, dass sie für die Rolle einer „normalen“ Hausfrau und Mutter wohl nicht geschaffen war.
    In dieser Zeit der Orientierung fand Helene Kraft und Unterstützung in ihrem Freundeskreis. Während eines Treffens bei den Bresslaus beschlossen Helene, Elly Knapp, Elsa und Fritz Haas, einen „Radelclub“ zu gründen. Man wollte die gerade aufgekommene Mode des Radfahrens zu ausgedehnten Ausflügen in die Natur nutzen und damit zugleich Gelegenheiten für lange, tiefe Gespräche schaffen. Helene machte den Vorschlag, auch Albert Schweitzer, den sie nicht vergessen hatte, zu dieser lockeren Vereinigung einzuladen. Sie teilte ihm dies mit. Schweitzer – zu diesem Zeitpunkt schon in Philosophie und Theologie promoviert, als Vikar in St. Nicolai und mit seiner Habilitation beschäftigt – sagte zu. Er nahm an den Radausflügen mit großer Freude teil und wurde bald zum geistigen Mittelpunkt der Gruppe.
    Schweitzer hatte bis zu dieser Zeit eine enge Beziehung zu seiner in Paris lebenden, deutlich älteren Tante Mathilde gepflegt, die ihm Verständnis und Vertrauen entgegenbrachte. Sie starb am 18. Februar 1902 nach langer Krankheit. Albert litt sehr unter diesem ersten großen Verlust, „wo ein Stück des eigenen Ich mitgeht“.
    Der 22. März 1902 wurde zu einem Schlüsseldatum in der Beziehung zwischen Helene und Albert. Er hatte sie um einen Radausflug zu zweit in den Rheinwald bei Neudorf unweit von Straßburg gebeten und fand den Mut, sich der vier Jahre jüngeren Frau anzuvertrauen, teilte ihr seine Zukunftspläne mit und bat Helene um ihre Freundschaft. Mag Helene auch schon vorher in ihn verliebt gewesen sein: Dies ist wohl die Geburtsstunde der gemeinsamen Liebe, in den darauffolgenden Briefen lange mit dem Etikett der Freundschaft versehen. Helene begriff, dass sie durch Alberts Selbstoffenbarung an die Stelle der vertrauten Mathilde getreten war. Und sie verstand, dass der junge Mann, inzwischen Privatdozent an der theologischen Fakultät Straßburg, für seine Zukunft etwas anderes im Sinn hatte als eine gesichert scheinende Universitätskarriere. Er wollte dienen, praktisch helfen und

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