Albert Schweitzer
gehen.
Helene versah ihren aufopferungsvollen Dienst als Waisenhausinspektorin rund viereinhalb Jahre (Frühjahr1905 bis Herbst 1909). Trotz dieser anstrengenden Tätigkeit fand sie nebenher noch die Zeit, Alberts Buch über die Leben-Jesu-Forschung Korrektur zu lesen und ihm Verbesserungen vorzuschlagen. Diese unentbehrliche Hilfe gewährte sie ihm auch bei seinen späteren Werken, und deshalb lässt sich ohne jede Übertreibung sagen, dass Helene einen nicht geringen Anteil an Schweitzers geistigem Werk hat.
Im Herbst 1906 verbrachten die beiden einige für sie unvergessliche Tage in Paris. Dabei lernte Helene Alberts Orgellehrer Widor und den befreundeten Schriftsteller Romain Rolland kennen.
Gegen Ende des Jahres waren Helenes Kräfte so erschöpft, dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt. In Günsbach erholte sie sich während der Weihnachtsferien in Alberts Elternhaus. Alberts Bruder Paul lud die (im Gegensatz zu Albert) sportbegeisterte Helene zum Skifahren ein. Ein folgenschwerer, tragischer Ausflug, denn Helene stürzte schwer und zog sich eine Wirbelsäulenverletzung zu, die ihr zeitlebens zu schaffen machte.
Helene und Albert beschlossen entgegen aller vorherigen Vorsätze zu heiraten, um gemeinsam nach Afrika zu gehen. Um Albert dort in seiner ärztlichen Tätigkeit unterstützen zu können, nahm Helene die Strapazen einer einjährigen Ausbildung zur diplomierten Krankenschwester auf sich. Sie kündigte im April 1909 ihre Stellung bei der Gemeinde Straßburg und begann im Oktober die Ausbildung im Bürgerspital Frankfurt. Helenewurde bis an die Grenzen der Belastbarkeit gefordert. Vierzehn bis achtzehn Stunden tägliche Arbeitszeit galten als normal. Doch sie meisterte auch diese Hürde. Nach dem Examen kehrte sie völlig erschöpft nach Straßburg zurück.
Es war ein furchtbarer Schock für Helene und Albert, dass bei Helene zudem noch eine schwere Erkrankung diagnostiziert wurde: Sie hatte sich in Frankfurt während ihrer Ausbildung mit Tuberkulose infiziert. Erst nach vier Monaten Sanatorium hatte sie sich wieder so weit erholt, dass man an der Verwirklichung der gemeinsamen Afrika-Pläne weiterarbeiten konnte. Auch diese schwere Krankheit sollte sie ein Leben lang beeinträchtigen und ihr im Hinblick auf das gemeinsame Lebenswerk viele schmerzliche Verzichte abnötigen.
Am 18. Juni 1912 heirateten Helene und Albert. Fast genau neun Monate später (21. März 1913) waren die aufwändigen Vorbereitungen für die Ausreise nach Afrika abgeschlossen. Das Ehepaar Schweitzer verließ an diesem Karfreitag Günsbach.
Lambarene wurde ihr gemeinsames Werk. Der erste Aufenthalt von 1913 bis 1917 war für Helene nach eigenem Bekunden die glücklichste Zeit ihres Lebens. Sie konnte an der Seite Alberts ihren Dienst an den Kranken versehen. Es war zugleich der längste gemeinsame Aufenthalt in Afrika. Wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit war es Helene später nicht mehr vergönnt, in derWeise am gemeinsamen Lebenswerk Lambarene teilzunehmen, wie beide sich das so sehr gewünscht hätten: an Alberts Seite als unentbehrliche Helferin im Dienst an den bedürftigen, kranken Mitmenschen die Erfüllung zu finden. Helene hat – wie zahlreiche Briefe belegen – sehr darunter gelitten, so oft und so lange vom geliebten Mann getrennt sein zu müssen. Und sie hat dieses Leiden in bewundernswerter Seelenstärke angenommen und ertragen.
Während des kriegsbedingten gemeinsamen Intermezzos im Elsass brachte sie, fast vierzigjährig, am 14. Januar 1919, an Alberts 44. Geburtstag, die einzige Tochter Rhena Fanny Suzanne zur Welt. Der für ein Mädchen ungewöhnliche Vorname hatte für Helene und Albert Erinnerungswert: Rhena war die weibliche latinisierte Form des Rheins (Rhenus) – Rückbesinnung auf den gemeinsamen Radausflug siebzehn Jahre zuvor, bei dem die beiden ihre Freundschaft im vertrauensvollen Gespräch besiegelt hatten.
Helenes Anteil am Bestand und am Gedeihen des Urwaldspitals kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Während Albert vor Ort oft und unter größten Schwierigkeiten um das Wohl der Kranken besorgt war, tat Helene im fernen Europa alles Erdenkliche, um dem Spital dienlich zu sein. Sie organisierte und hielt Vorträge (allein 28 während einer USA-Reise), begleitete Albert bei seinen Europa-Aufenthalten auf den ausgedehntenVortrags- und Konzertreisen, trieb Spenden auf – alles für das gemeinsame Lebenswerk in Lambarene.
Dass die Ehe in 45 Jahren nicht völlig frei von Spannungen
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