Albert Schweitzer
alten Albert Schweitzer gegen den inhumanen Wahnsinn des atomaren Wettrüstens lassen sich nur dann wirklich verstehen, wenn wir sie vor dem Hintergrund sehen, der in seinen Predigten sichtbar wird. Wenn Schweitzer vom Frieden, von der christlichen, humanen Friedfertigkeit sprach, so war das zunächst einmal ein Appell an jeden Einzelnen. Ein jeder muss bestrebt sein, friedfertig zu werden; ich soll den Hass, den Zorn, den Neid, das Rachedenken aus meinem Herzen verbannen; ich darf mich einlassen auf den tätigen, liebenden Frieden, den Jesus vorgelebt hat; ich kann Ernst machen mit der Friedfertigkeit in meinem kleinen Wirkungsbereich. Dann – und nur dann – darf ich hoffen, auch im andern den Friedfertigen zu finden. Und nur dann ist der Boden bereitet für das zarte Pflänzchen eines dauerhaften, echten, herzlichen Friedens auch im Großen. Aus dieser Überzeugung heraus hat Albert Schweitzer gehandelt, auch in seinem Engagement gegen die atomare Rüstung. Überlegungen zum Phänomen des Krieges hatte Schweitzer schon früh, in seiner Kulturphilosophie (1914–1917 entstanden, 1923 im Druck erschienen), angestellt. Krieg war für Schweitzer nicht die Ursache des von ihm diagnostizierten Niedergangs der Kultur, sondern umgekehrt dessen Folge. Für die rasantsich beschleunigende Kulturkrise machte er die zunehmende Diskrepanz zwischen dem technisch-materiellen Fortschritt einerseits und einer nahezu hoffnungslos zurückgebliebenen geistig-ethischen Entwicklung andererseits verantwortlich.
Der rasch um sich greifende technische Fortschritt und der Mangel an ethischem Bewusstsein führten geradezu zwangsläufig dazu, dass sich das Wesen des Krieges grundlegend wandelte: „Technische Errungenschaften waren es auch, die uns in den Stand setzten, in der Art auf Entfernung zu töten und Massenvernichtung zu üben, dass wir in die Lage kamen, die letzte Regung von Humanität abzulegen“. Man muss sich kurz verdeutlichen, welchen gravierenden Sachverhalt Schweitzer in diesem Satz beschreibt: Der Erste Weltkrieg brachte eine völlig neue „Qualität“ von Krieg. Spielten sich bis dahin kriegerische Auseinandersetzungen weitgehend in der Konfrontation kämpfender Truppen auf den Schlachtfeldern ab, im Kampf Mann gegen Mann, so begann mit dem Krieg von 1914 bis 1918 das, was man als „Anonymisierung des Tötens“ bezeichnen könnte. Erstmals wurde Krieg auch aus der Luft geführt; erstmals wurden chemische „Kampfmittel“ eingesetzt, um dem Gegner schmerzliche und umfangreiche Verluste zu bereiten. Diese neuen Mittel der Kriegsführung waren Produkte menschlichen Erfindungsgeistes, hemmungslos eingesetzt zur Vernichtung menschlichen Lebens. Die Hemmschwelle des Tötens wurde durch das „Töten auf Entfernung“heruntergesetzt. Einen Gegner, den ich aus großer Höhe oder durch die Verbreitung heimtückischen Giftgases außer Gefecht setze, sehe ich nicht. Er steht mir nicht mehr als „Feind“ gegenüber, sondern wird zum Angriffsziel technischer Kampfmittel, die ich nur noch zu bedienen habe. Der erstmalige Einsatz von Massenvernichtungsmitteln in Form von sprenggewaltigen, zerstörerischen Bomben und heimtückischen Nervengasen war der erste Schritt zur zunehmenden Enthemmung des Menschen im grausamen Geschäft militärisch angeordneten Tötens. Die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 waren der Höhepunkt dieser Eskalation. Albert Schweitzer war siebzig Jahre alt, als er Zeitzeuge dieses barbarischen Vernichtungsschlages auf die beiden japanischen Städte wurde.
Schweitzer war zeitlebens ein politisch höchst interessierter Mensch. Doch er vermied es, sich selbst von irgendeiner politischen Richtung oder Gruppierung vereinnahmen zu lassen. Auch trat er mit Äußerungen zur Politik lange Zeit nicht öffentlich in Erscheinung. Er sah seine Betätigungsfelder als Arzt, Theologe, Philosoph und Musiker. Eine Änderung dieser Haltung bahnte sich im Frühjahr 1954 an. Schweitzer hatte im Jahr zuvor den Friedensnobelpreis zuerkannt bekommen und war längst ein Mann von Weltberühmtheit geworden. Seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben war weltweit bekannt geworden und fand zunehmend Aufmerksamkeit. Er wurde sich seiner Verantwortung immer mehr bewusst.
Da erreichte ihn am 31. März 1954 ein Telegramm von James Oldfield, Auslandsredakteur des Londoner
Daily Herald
. Das Telegramm nahm Bezug auf den Vorschlag des Mediziners Professor Sir Alexander Haddow, auf einem „Konzil der
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