Albert Schweitzer
dir, dass du Dinge gutheißen sollst, die du nicht kannst, dass du mit zusiehst, wo du eigentlich nicht darfst, dass du, statt offen und gerade deinen Weg zu verfolgen, um die Sache herumgehst, Böses geschehen lässt, Gutes versäumst; und das alles um des lieben Friedens willen. Dabei kommt dann, weil die Wahrhaftigkeit fehlt, selten etwas Gutes heraus, gewöhnlich mehr Unfriede als Friede.“
Schweitzer hat sich auch in späteren Predigten immer wieder zum inneren Frieden geäußert. So etwa am 4. Januar 1903, dem Sonntag nach Neujahr, als er seiner Gemeinde für das eben begonnene Jahr den Wunsch mit auf den Weg gab: „Darum wünsche ich euch Frieden. Das heißt zunächst, ein genügsames, zufriedenes Herz, ein Herz, das nicht unersättlich ist. Wie viele Menschen können sich keine Stunde freuen, auch wenn es ihnen noch so gut geht! Und wie viel andere dagegen in einfachsten Verhältnissen, ja, in solchen, wo sie von Tag zu Tag sorgen müssen, sind glücklich, weil sie zufrieden sind. Ich wünsche euch ein Herz, das keinen Neid kennt. Ist doch der Neid ein Gift, welches so viele Leben vergiftet und so viel Unheil anrichtet; darum gehört zum Frieden, dass ihr euch an dem Glück der anderen freuen könnt. Ferner aber: Zum Frieden gehört Friedfertigkeit. Soviel an euch ist, habt Frieden mit jedermann, sagt derApostel [Paulus]. So wünsche ich euch Friedfertigkeit, Friedfertigkeit in eurem Hause, dieses schöne, sanfte Sich-Dulden und -Ertragen, ohne welche ja kein wahres Glück möglich ist, Friedfertigkeit auch mit den andern, denen draußen, im Großen wie im Kleinen, dass euer Leben nicht verbittert werde durch Hass und Zorn.“
Oder aber am Ostersonntag (3. April 1904), als Schweitzer über Johannes 14,27 („Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“) predigt und dabei freimütig bekennt, die Auferstehung Jesu sei ihm ein geistiges (kein leibliches) Erlebnis, in dem für uns Gläubige vor allem eines präsent sei: der Friede Jesu. „Denn was lebendig von seiner Person auf der Erde zurückgeblieben ist, das Wesen seiner überirdischen Person, das ist sein Friede.“ Diesen Frieden, den uns Jesus schenkt, bezeichnet Schweitzer in derselben Predigt als „Sonnenaufgangsfriede“, ein Friede des Lebens und der Tat. Er grenzt ihn damit ab von der Zufriedenheit beschaulichen Ausruhens (auch das ist nötig!), vom Abendfrieden, der in die Ruhe der Nacht übergleitet. Jesu Frieden ist ein Friede des Anfangs: „Als er den Jüngern erschien, da fing das Leben für sie erst an, und sie mussten nun hinaus, ob sie wollten oder nicht, und für ihn leben.“
Diesen Frieden des Anfangs, des Sonnenaufgangs, des Lebens und der Tat meinte Schweitzer auch in der Predigt vom 30. April 1911, wenn er seiner Gemeinde sagte: „So viele erfahren nicht, was Friede ist, weil sie meinen,er komme von selbst, und nicht wissen, dass man Arbeit tun muss an sich selber, damit der Friede sich in uns einsenken und Wurzeln fassen könne.“ In dieselbe Richtung weist die Predigt vom 21. Mai 1911, in der es heißt: „Friede des Herzens heißt nicht nur Ruhe, sondern er schließt eine gewisse Freudigkeit und Heiterkeit in sich, die aus uns heraus scheint und auf die andern wirkt. Ein Mensch mit Frieden der Seele ist wie eine Sonne im Haus, die Nebel und Wolken aufzehrt.“ Wie sehr Freude und Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit zusammen gehören, sprach Schweitzer schließlich auch in der Predigt vom 28. Mai 1911 an: „Von etwas Praktischem möchte ich ... reden. Friede ist nur möglich auf dem Grunde von Offenheit und Entschiedenheit. Ihr könnt es im Leben gar oft beobachten, dass eine Kälte des Unfriedens ausging von der Unentschiedenheit eines Menschen. Er sollte ja oder nein sagen und sagte weder ja noch nein, sodass die einen annehmen konnten, er hätte ja, die andern, er hätte nein gesagt. Er verfuhr, weil er zu charakterlos war, um sich zu entscheiden, oder weil er niemand zuwiderhandeln wollte ... oder gar, wie er meinte, aus Friedensliebe.“
Bisher kam der Prediger Albert Schweitzer zu Wort. In seinen Predigten hat Schweitzer seine Gemeinde direkt angesprochen, und dieser Charakter bleibt erhalten, wenn wir sie heute nachlesen. Da tritt er nicht als Gelehrter, als theologischer oder philosophischer Schriftsteller in Erscheinung, sondern als jemand, dem darangelegen ist, die Botschaft des Evangeliums, das Vermächtnis des Mannes aus Nazareth in unser Leben hineinwirken zu lassen und wachzuhalten.
Die Appelle des
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