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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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weil ich unter »Müttern und Vätern« diejenigen verstand, die – männlich und weiblich – für den Haushalt zuständig waren, in den ich jeden Tag heimkehrte und die die Aufsicht über das Leben des Kindes hatten, bis es alt genug war, das Haus zu verlassen. Ich weiß, daß mein Vater mich liebte und daß meine Stiefmutter eine vernünftige Frau war, die die Situation, in der sie sich befand, so gut handhabte, wie sie konnte, so sehr es mir auch gefallen hätte (schließlich las ich viel), sie in der Rolle des grausamen Eindring-lings zu sehen. Sie liebte meinen Vater – er war, das habe ich schon früh gespürt, ein Mann, der eine starke Anziehung auf Frauen ausüb-te – und akzeptierte bereitwillig die Bedingung, daß ich bei ihm bleiben würde, wenn er heiratete; ihre Liebe zu ihm schloß mich mit ein. Sicher wäre es ihr leichter gefallen, mit einem konventionellen Kind umzugehen: Ich lehnte all ihre Anweisungen in bezug auf Kleidung und Haltung ab, merkwürdigerweise aber nicht in bezug auf gute Umgangsformen. Ich spürte, und dieses Gefühl wurde verstärkt durch meine Sommer mit Cyril und die Umgangsformen englischer Jungen, daß eine gewisse steife Höflichkeit die eigenen Gedanken und Meinungen vor allzu genauer Überprüfung von außen schützt. Ich glaube, Kinder haben eine Menge eingebüßt, als die Sitten in Amerika sie von einer gewissen Strenge der Manieren be-freiten, angeblich zu ihrem Besten. Es ist nervtötend, seine Aggres-sionen auszuagieren, Gleichaltrige mit Grobheiten zu beeindrucken; es zerstört die eigene innere Festigkeit.
    Mir ist heute klar, daß meine Sommeraufenthalte bei meiner Tante und bei Cyrils Eltern meiner Stiefmutter zu verdanken waren, die sich wünschte, im Sommer ihre »eigene« Familie zu haben. Mein Dasein mußte ihre Beziehung zu meinem Vater und den beiden Kindern, die sie später hatten, erschreckend verändert haben. Beide waren Mädchen (die Enttäuschung meiner Stiefmutter darüber habe ich deutlich gespürt), und ich behandelte sie mit einer Verachtung, die ich für absolut korrekt hielt, die aber meine Stiefmutter unerträglich gefunden haben muß; sie hat sie dennoch ertragen. (Ich möchte hier anmerken, daß ich sie als »Stiefmutter« bezeichne, sie aber
    »Mutter« nannte und in all den Jahren auch als meine »Mutter« empfand. Kann es sein, daß ich, wie die adoptierten Kinder, die ihre wahre Mutter suchen, da eine Unterscheidung mache? Obwohl ich gerade das verachte?)
    Natürlich fragte ich meine Mutter – wie sollte ich sie sonst nennen? –, warum ich nach England geschickt wurde. »Um deine Tante zu besuchen«, sagte sie. »Ist sie die Schwester meines Vaters?« fragte ich. Nein, sie sei die Schwester meiner verstorbenen Mutter. Ich denke, meine Stiefmutter glaubte das wirklich; ich hielt es auch nicht für notwendig, mit irgend jemandem darüber zu sprechen, als mir meine Tante später ganz beiläufig und lakonisch erzählte, daß meine Mutter ein Einzelkind gewesen sei. Ich erwähnte das niemandem gegenüber. Ich wußte, daß meine Tante nicht meine »richtige« Tante war, ich habe daraus geschlossen, daß sie eine liebe Freundin meiner verstorbenen Mutter war, daß die beiden eine Art Frauenfreundschaft verbunden hatte, die nicht aus diesem Geschnatter über Haushalts-probleme, Kochrezepte und Kinder bestand, und daß sie Verbindung mit mir halten wollte, als dem Einzigen, was aus dieser Freundschaft geblieben war. Hat man mir das erzählt? Sollte ich es annehmen, oder habe ich es mir ausgedacht? Ich weiß es nicht, aber in späteren Jahren sollte meine Tante in einer Weise von meiner Mutter sprechen, wie, so hoffte ich, vielleicht irgendeine Frau irgendwann auch von mir sprechen würde. Ich sehe den Widerspruch schon: Cyril war mein Freund, und ich wollte ein Junge werden, und doch träumte ich davon, als Frau eine Frau zur Freundin zu haben.
    Wenn in unseren Kindheitserinnerungen immer Sommer ist, wie viele behaupten, so ist das vielleicht auch der Grund, warum in meinen Erinnerungen an jene Jahre niemals mein Zuhause auftaucht, sondern nur Oxford; ich kann mich kaum an diese Stadt in Ohio erinnern, in deren Vorort ich aufwuchs. In diesem Augenblick – in Gedanken nach Oxford versetzt – sehe ich mich auf dem Weg zum Shelley-Denkmal und weiß noch genau (obwohl ich heute zu groß bin), wie man sich durch die Gitterstäbe zwängen mußte, um hinter dem Denkmal zu stehen und das plumpe Hinterteil der zurückge-neigten Statue zu sehen (war mir

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