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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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bis zum Geht-nicht-mehr von Touristen überlaufen ist; aber es gibt dort eine Art Gartenrestaurant, in dem man nicht auffällt wie eine bunte Kuh, wenn man nicht piekfein angezogen ist.
    Sie wäre in jedem Fall aufgefallen, denn sie ist groß und bewegt sich mit einer Selbstsicherheit, die sie jahrelanges Bemühen gekostet haben muß; ich meine, daß sie sich in ihrem Körper zu Hause fühlt.
    Ich nehme an, die harte körperliche Arbeit hat das bewirkt – hast du mal bemerkt, wie sich Athletinnen bewegen? Nein, mein geliebter Toby, ich bin sicher, du hast noch keinen Gedanken daran ver-schwendet. Sie trug eine lange Cordhose mit einem Maßhemd und einer flotten Krawatte um den Hals. Wir haben sie sofort erkannt, und ich winkte ihr zu. George starrte sie beinahe mit offenem Mund an, der arme Irre; weiß der Himmel, was er erwartet hatte.
    Sie gab uns die Hand, setzte sich und sagte zu mir: »Sie sehen nicht so aus, als ließen Sie sich von einer Gans erschrecken.« Und sie lächelte; sie hat ein hübsches Lächeln, das ihr Gesicht von einer eher traurigen, wenn auch nicht unschönen Maske in ein leuchtendes Zentrum verwandelt. Was für einen Unsinn ich Dir schreibe. Ich wußte sofort, was sie meinte; George wollte ihr einen Drink anbieten und nahm gleichzeitig an, daß sie wohl gar keinen brauchte. »Ich war nicht erschrocken«, sagte ich. »Es war nur lästig. Ich mag die Arroganz der Gänse, und ich verleite sie dazu zu denken, ich sei verrückt; natürlich halten sie jedes menschliche Wesen, das ihnen die Hand hinhält, für eine dumme Gans, wie wir sagen würden.« Oh, Toby, warum bist nicht Du hier bei mir anstatt des langweiligen George; ich schreibe das zum tausendsten Mal.
    Sie und ich, wir mochten einander auf Anhieb, das ist wunderbar.
    Wie kann ich George loswerden? Er wird eindeutig die ganze Angelegenheit vermasseln, wenn ich ihn nicht abschütteln kann. Wie Harriet Sinjin zu so einem langweiligen Sohn kommt, ist nur durch die rätselhaften Verbindungen von Genen zu erklären. Er und ich hatten jedenfalls beschlossen, an diesem Abend nicht mehr zu tun, als ein weiteres Treffen zu vereinbaren; mein ruchloser Plan ist, George auf dem Weg dorthin in einen Straßengraben zu werfen. Wir haben also ein wenig geplaudert, obgleich klar war, daß sie Geplauder ebensowenig mochte wie ich. Ich erzählte ihr von mir selbst; das schien am hilfreichsten. Ein- oder zweimal wollte George von seiner Mama und ihrer Tante anfangen, aber da habe ich ihm unter dem Tisch hart gegen das Schienbein getreten.
    »Sie haben denselben Namen wie meine Tante«, sagte sie lä-
    chelnd.
    »Ja«, sagte ich. »Aber ich werde immer Charlie genannt, und sie nannte man immer Charlotte, nie mit einem Diminutiv, niemals Lottie, stimmt’s?«
    »Stimmt genau. Meistens war sie ›Die Rektorin‹, oder welchen Titel auch immer sie vorher gehabt haben mag. Nie tolerierte sie Formlosigkeiten, und sie hielt, wie Sie sicher wissen, wenn Sie meine Tante nur ein wenig kennen, die meisten Mädchen für Närrinnen.
    Sie war überzeugt davon, daß diese sich mit erstaunlicher Entschlossenheit von den Chancen abwandten, die das Leben ihnen bot. Vielleicht war das auch so.«
    Und das, lieber Toby, war ihre längste Rede. Sie trank nur Eistee und erklärte das damit, daß sie noch fahren mußte. Ich fürchtete schon, eines dieser schrecklichsten aller Geschöpfe der Gesellschaft vor mir zu haben, nämlich eine knallharte Abstinenzlerin, aber sie beruhigte mich. »Ich habe so viele Unfälle mit Betrunkenen hier in der Gegend gesehen«, sagte sie. »Und es ist ein geliehener Wagen.«
    Ich hatte ein wenig das Gefühl, als wollte sie am Anfang nicht gleich eine allzu vertrauliche Stimmung aufkommen lassen. Sie fragte nach dem Brief von Sinjin. George übergab ihn ihr, wie wir verabredet hatten. Später mehr. (Ich sehe Dich, wie Du diese Zeilen liest, an Deinem Feierabenddrink nippst und mich vermißt, wie ich hoffe.) Du bist ein Engel, mein Engel, weil Du keinen Wirbel darum gemacht hast, daß ich weggefahren bin. Ich weiß, wieviel Dir daran liegt, daß ich bei Dir bin. Aber schließlich war es Stanton, die uns zusammengebracht hat, das dürfen wir nicht vergessen, mein Liebling.

    Liebster Toby,
    wir haben uns wiedergesehen, ohne George, der schließlich ein-gesehen hat, daß ich allein möglicherweise größere Fortschritte er-zielen würde. Der arme George gehört zu den Leuten, denen man aus der Ferne eine riesige Toleranz entgegenbringen kann und die man

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