Albertas Schatten
Cyril und seine Erzählungen über die Schule in all jenen goldenen Sommern.
James Morris bezieht sich am nachdrücklichsten auf die unausweichlichen Erinnerungen an das Oxford-Wetter, das dem »richtigen« Wetter entgegensteht. (Kann man das »richtige« Wetter durch sorgfältige Nachforschungen entdecken, und ist es ebenso wichtig wie das Forschen nach den »richtigen« Eltern?) »Die meteorologi-schen Berichte für diese Gegend«, so schrieb Morris, und ich habe es mir notiert, »versichern, daß das Wetter am 4. Juli 1862 ›kühl und ziemlich feucht‹ war; aber genau an diesem Tag erzählte Lewis Car-roll vier Personen, mit denen er in einem Ruderboot auf der Themse fuhr, zum ersten Mal die Geschichte von ›Alice im Wunderland‹, sie waren flußaufwärts zu einem Nachmittagspicknick unterwegs, und alle vier erinnerten sich bis zu ihrem Lebensende daran, daß es »ein Traum von einem sonnigen, wolkenlosen englischen Nachmittag«
war«. Morris stellt fest, daß das Wetter in Oxford das scheußlichste von ganz England ist, daß aber dennoch »der Sommer hier sommer-licher ist als an irgendeinem anderen Ort, den ich kenne; sicherlich nicht heißer und nicht sonniger, aber mehr so, wie Sommer in jedermanns Kindheitserinnerungen zu sein pflegten.« So stand ich mit diesen Erinnerungen nicht allein da. Wenn es Nostalgie war, so war es eine allgemeine Nostalgie und daher weniger bedrohlich für den eigenen Realitätssinn. Als ich als Kind unter der Blutbuche im Park von Wadham herumstrolchte, hatte ich von einer Zeder gehört, die im Sommer einem Schneesturm zum Opfer gefallen war. Ich erinnerte mich auch daran, daß Cyril und ich, jeder mit einer Decke verse-hen und mit der Anordnung, unmittelbar nach dem Ende nach Hause zu kommen, zu abendlichen Shakespeare-Freilichtaufführungen gehen durften; fast immer (so scheint es jetzt) regnete es, und es war gewissermaßen eine Ehre für uns, bis zum Ende zu bleiben, während sich die Reihen der Zuschauer aus Gründen der Feigheit oder Feuch-tigkeit schon merklich gelichtet hatten.
Waren alle Sommer gleich? Ich bin sicher, daß sie den Far-merskindern hier alle als gleich in Erinnerung bleiben werden, nur auseinanderzuhalten durch besondere Ereignisse, Marksteine im Gang der »Zeiten«. Vielleicht ist aus diesem Grund in der Kindheit immer Sommer.
»Hast du jemals Kühe gemolken, als du ein kleines Mädchen warst?« fragte mich Pamela eines Tages. Ich schüttelte nur den Kopf.
Hätte ich ihr antworten können, daß ich niemals ein kleines Mädchen gewesen war, sondern eine Schmetterlingslarve, die darauf wartete, der Junge zu werden, zu dem sie das Schicksal bestimmt hatte? Pamela, die ältere, tut immer das, was ihr Bruder tut, und Jean ist auf der Farm genauso verläßlich wie Ted. Wäre ich zu so einer Zeit und auf diese Weise aufgewachsen, was wäre wohl aus mir geworden?
Ich habe die Biographie meiner Tante gekauft, so entsetzlich sie offensichtlich auch war. Ich rechtfertigte diese Geldausgabe, wie ich es schon als Kind getan hatte, als Geburtstagsgeschenk. Die Verdre-hungen, von denen das ganze Buch wimmelte, ließen mich mehr als einmal den Kopf schütteln; das Bild meiner Tante war von jemandem gezeichnet worden, der sie gehaßt oder beneidet hatte, von jemandem (so vermutete ich), der sie insgeheim bewunderte und dieses Buch geschrieben hatte, um diese Bewunderung zu zerstören.
Meine Tante war die Autorin von Romanen, die sich sehr gut ver-kauften, und als hervorragende Dozentin und Rektorin eines Oxford-Colleges zog sie nach dem Zweiten Weltkrieg den besonderen Zorn vieler einflußreicher englischer Intellektueller an den Universitäten auf sich. Die Ausführlichkeit, mit der man sie in Büchern und Zei-tungsartikeln verhöhnte, war in Wirklichkeit ein Kompliment; ich weiß, daß sie es so auffaßte. Aber in den folgenden Jahren diente ihnen das als Erlaubnis, sie unverschämter zu behandeln, als Oxbrid-ge-Leuten normalerweise zugemutet wird. Hätten ihre Freunde gleich zu Anfang eine Biographie autorisiert, hätten sie all dies ver-meiden können; nun konnten sie sich nicht über die ungeheuerlichen Unterstellungen beklagen, nachdem sie genau die Papiere zurück-gehalten hatten, deren Veröffentlichung derartige Unterstellungen unmöglich gemacht hätten.
Beim Durchlesen dessen, was ich kürzlich geschrieben habe, se-he ich, daß ich von »meiner Mutter und meinem Vater« spreche.
Seltsamerweise habe ich sie immer als solche betrachtet, wahrscheinlich,
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