Albertas Schatten
uns ausweichen und wir auch bei unserem Besuch auf der Farm, auf der Sie arbeiten (das hatten sie also herausgefunden), keine Bereitschaft Ihrerseits feststellen konnten, uns zu empfangen, schreiben wir Ihnen nun, um Sie zu fragen, ob Sie zu einem Treffen mit uns bereit wären. Miss Harriet St. John Merriweather, eine Freundin Ihrer Tante, Miss Charlotte Stanton, ist achtzig Jahre alt und daher verständlicherweise daran interessiert, die Angelegenheit, die sie mit Ihnen zu erledigen hat, zu beschleunigen.
Wir schlagen vor, daß wir uns am Mittwoch um 19 Uhr im Red Lions Inn in Stockbridge zum Dinner treffen. Bitte rufen Sie uns unter der nachstehenden Telefonnummer an, um uns mitzuteilen, ob Sie einverstanden sind. Wir möchten Sie dringend bitten, sich mit uns zu treffen, und fügen als Ermutigung die alte Redensart hinzu, daß Sie, wenn Sie mit uns Verbindung aufnehmen, etwas für Sie Vorteilhaftes erfahren werden.«
Der Brief trug zwei Unterschriften und die erwähnte Telefonnummer. Mein Hauptproblem war, aber das konnte ich den Unter-zeichnern wohl kaum sagen, wie ich nach Stockbridge gelangen sollte. Bevor ich aus dem Wald zurückkam, hatte ich beschlossen, Ted und Jean zu fragen, ob sie mir ihren Wagen leihen könnten; das war zwar gegen meine Prinzipien, aber die mußten sich außergewöhnlichen Ereignissen beugen. Das Telefongespräch war kein Problem: Ortsgespräche sind gebührenfrei, und in der Scheune war ein Nebenanschluß. Ich würde morgen nach dem Frühmelken anrufen.
Ich ging direkt zum Haus und brachte meine Bitte vor, wobei ich Ted und Jean versicherte, daß dies nicht zur Gewohnheit würde. Ich erklärte, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit aus England handelte.
»Hat das etwas mit den beiden zu tun, die neulich hier überall ih-re Nase hineinsteckten?« fragte Ted.
»Genau«, sagte ich. »Es hängt mit einer Tante von mir zusammen, die vor einer Weile gestorben ist.« Das schien mir eine angemessene Erklärung zu sein, wenn sie auch nicht ganz stimmte; aber ich mußte ihnen schließlich erklären, warum ich mir ihren Wagen ausleihen wollte.
»Vielleicht hast du ein Vermögen geerbt und wirst das Melken aufgeben«, sagte Jean, ich glaube, mit Bedauern.
»Da gibt es kein Vermögen, das vererbt werden könnte«, sagte ich. Das Erbe meiner Tante waren die Tantiemen von ihren beliebten Romanen, aber die gingen nicht auf mich über.
»Es tut mir leid, daß ich mir euren Wagen ausleihen muß«, sagte ich im Hinausgehen. »Bitte, glaubt nicht, daß das einreißen wird; ich schätze meine Tätigkeit hier und habe nicht die Absicht, das auszu-nutzen.«
»Du machst dir zu viele Gedanken«, sagte Jean und lächelte mir zu. »Wenn es dich beruhigt, kannst du ja etwas Gänsefutter von Agway an der Hauptstraße mitbringen; die haben bis neun auf.«
»Das mache ich, und danke«, sagte ich mit einem Lächeln. Jean und ich verstanden einander.
»Ich fahre nach dem Melken los, mit dem ich am Mittwoch etwas früher anfangen werde«, sagte ich. »Ich werde für acht Uhr zusagen; darauf müssen sie sich einstellen.«
Am nächsten Morgen hinterließ ich ihnen die Nachricht, daß ich sie am Mittwoch um acht Uhr im Red Lion Inn erwarten würde.
Danach versuchte ich, die Sache aus meinen Gedanken zu verbannen.
6
L iebster Toby,
wir haben sie gesehen, sie – wie ich es George vorhergesagt hatte
–, durch Ehrlichkeit und Direktheit zu einem Treffen bewegen können. Sein lächerliches Unterfangen auf der Farm hatte natürlich weniger als keinen Erfolg – wie zu erwarten war. Es ist wohl überflüssig zu sagen, daß George sie sich als verschrumpelte englische alte Jungfer vorgestellt hatte, die uns Pastinakenwein anbieten würde, sobald wir ihr jungfräuliches Herz entflammt hätten. Wie es ihm gelungen ist, dieses Bild mit einer Frau, die Farmarbeit leistet, in Einklang zu bringen, wird Georges Geheimnis bleiben, wenn es ihm jemals bewußt wird. »Sie ist eine selbständige Frau, George«, sagte ich. »Sie kann mit deinen Artigkeiten ebensowenig anfangen wie mit Nesselfieber. Wende dich auf eine geschäftsmäßige Weise an sie, lade sie zum Dinner ein, und wahrscheinlich wird sie aus einer normalen menschlichen Neugierde heraus kommen oder aus Loyalität ihrer Tante gegenüber oder gegenüber der alten Harriet Sinjin.« Ich hatte mir angewöhnt, sie so zu nennen. Und ich hatte recht, wie ge-wöhnlich (ich sehe Dich grinsen und nehme es hin). Sie traf uns im Speisesaal des Red Lion Inn, der
Weitere Kostenlose Bücher