Albertas Schatten
berühmten Persönlichkeit beschäftigt.
Manche Zuschriften kamen von Witzbolden, die sich grundsätzlich keine Chance entgehen ließen, oder solchen, die Kate einmal begegnet waren oder von ihr gehört hatten und nun froh waren über die Gelegenheit, sie auf mehr oder weniger geistreiche Weise auf den Arm nehmen zu können. Kate mußte zugeben, daß es recht häufig wirklich geistreich war. Ihr war schon vor längerer Zeit aufgefallen, daß Anfragen oder Briefe an die Herausgeber mit größerer Aufmerksamkeit gelesen wurden, als die normalen Artikel, die ja den Hauptteil einer Zeitschrift bildeten – jeder Zeitschrift. Abgesehen von den Zuschriften, die nur Charlotte Stanton betrafen, blieben nur wenige übrig, die ein besonderes Interesse verdienten.
Die erste stammte von der Frau, die 1980 in Houston das Referat über die Stanton gehalten hatte; Kate war darüber sehr zufrieden. Die Frau schrieb, sie sei nicht ganz sicher, ob sie die richtige Alberta Ashby getroffen habe, hielt es aber für ziemlich wahrscheinlich. Sie fügte hinzu, wenn Kate es nicht besonders eilig habe, würde sie sich freuen, sie auf dem nächsten MLA-Kongreß in New York kennenzulernen. Kate war ohnehin der Meinung, in einem sich frei entwik-kelnden Gespräch sei mehr zu erfahren als aus einem Brief; außerdem fand sie es nicht fair, einem fremden Menschen zuzumuten, einen so zeitaufwendigen Brief an einen Unbekannten zu schreiben.
Kate antwortete ihr – sie hieß Alina Rosenberg – und lud sie zu einem Drink in ihr Zimmer ein. Sie hatte schon vorher beschlossen, sich ein Hotelzimmer reservieren zu lassen, um Leute treffen zu können, auch wenn sie dort nicht übernachten wollte.
Ihr Entschluß, am MLA-Kongreß teilzunehmen, war durch die anderen Briefe noch bestärkt worden. In einem anonymen Brief wurde Kate vorgeschlagen, sie bei der ML A zu treffen; jemand kündigte ihr geheimnisvoll und vielversprechend an, sie könne etwas für sie sehr Interessantes erfahren – oder auch nicht. Was, wurde nicht näher erläutert. Ein dritter Brief besagte zu Kates Erstaunen und Freude, daß der Schreiber Alberta Ashby als Jugendliche in Ohio gekannt hatte; er fragte, ob das für Kate von Interesse sein könnte. Auch er würde an dem Kongreß teilnehmen und sich freuen, dort mit ihr zu sprechen.
So blieb Kate nicht viel mehr zu tun, als den Semesterschluß mit all der Hetze zu überstehen, die er in letzter Minute noch mit sich brachte; sie plante ihre Gespräche beim MLA-Kongreß und mußte Reed die Neuigkeit beibringen, daß sie nicht nur am Kongreß teilnehmen würde, sondern auch ein Hotelzimmer hatte reservieren lassen. Sie hatte sich darauf vorbereitet, ihn einzuladen, das Zimmer mit ihr zu teilen, oder, sollte er das nachdrücklich ablehnen, ihn auf besonders damenhafte Art an Parties für Kollegen zu erinnern. Hätte er sie nicht dorthin mitgeschleppt, sie hätte nie an dem MLA-Kongreß teilnehmen müssen.
Es stellte sich heraus, daß Reed sogar amüsiert war. Er bezwei-felte allerdings, ob eine Nacht im Hotelzimmer irgendwelche besonderen Freuden bergen könnte; sollte er nicht lieber zu Hause auf sie warten? »Ich hoffe, du hast schon dein Namensschild und den Plastikanstecker bekommen«, fügte er hinzu. Kate sagte ihm, daß sie den Plastikanstecker erst beim Kongreß bekommen würde und sich auf dieses Schild ganz besonders freute. Reed grinste.
Kate schrieb sich erst am Abend des ersten Kongreßtages in ihrem Hotel ein – es war das Sheraton, die Fremdsprachen tagten im Hilton –, denn sehr erfahrene Kongreßteilnehmer hatten sie vor den endlosen Schlangen derer gewarnt, die sich am Nachmittag eintru-gen. Es hatte sich so ergeben, daß sie doch ein wenig warten mußte; die Betriebsamkeit in der Hotelhalle zog sie in Bann – Ausrufe der Begrüßung, Seitenblicke auf die Namensschildchen, manchmal ver-stohlen, manchmal direkt und herausfordernd; die Traurigkeit der Vergessenen und Einsamen oder die Anspannung derjenigen, die auf ein Bewerbungsgespräch warteten, von dem der Verlauf der nächsten Jahre, wenn nicht das ganze Leben abhängen konnte.
Die Männer waren selbstsicher, mit ausdruckslosen Gesichtern und einem Gehabe, das an Aufgeblasenheit grenzte. Die Frauen wirkten erschöpft oder erfreut, ein bekanntes Gesicht zu sehen; Kate hatte den Eindruck, sie verhielten sich direkter und waren eher bereit, persönlich etwas zu riskieren. Obgleich Kate niemals Anhängerin der Theorie von den geschlechterspezifischen
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