Albertas Schatten
mit ihrem Leben oder mit ihrem Werk beschäftigt?«
»Eigentlich mit beidem. Ich konzentriere mich auf ihr Werk; widme aber ein Kapitel ihrem Leben; doch kann man nicht umhin, hierhin und dorthin zu schauen, besonders jetzt, da diese Methode sich mehr durchsetzt – nicht wie in der Zeit des ›New Criticism‹ als Schriftsteller kein Privatleben haben oder dieses gar in ihr Werk einbringen durften.«
»Wußten Sie, daß eine gewisse Charlotte Lucas gerade eine Biographie über die Stanton schreibt?«
»Himmel, nein! Nein, das habe ich nicht gewußt. Aber so geht das nun mal. Es kommt immer wieder vor, daß zwei Personen Bü-
cher über dasselbe Thema schreiben.«
»Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Ich bin sicher, daß in diesen Fällen jedes Buch eine andere Aussage zu machen hat. Ich habe das nur erwähnt, weil ich nicht den Anschein erwecken will, mit ver-deckten Karten zu spielen.«
»Nun ja«, sagte Alina. »Wahrscheinlich hat sie die Möglichkeit, jedes Jahr nach England zu reisen, um dort angemessene Nachforschungen zu betreiben. Das kann ich nicht. Aber der Verlag, für den ich schreibe, ist auch nicht so anspruchsvoll. Das Buch soll eine Art von Einführung sein; ich hoffe allerdings, daß ich es gut mache.«
»Das werden Sie sicher«, sagte Kate und dachte: Was für ein glückliches Leben Charlie und ich doch haben. Sie dachte weiter: Vielleicht kann Charlie Kontakt mit ihr aufnehmen und ihr ein paar wertvolle Tips geben, sagte dann aber nur: »Haben Sie die Frau, die Alberta Ashby gewesen sein könnte, auf dem Kongreß in Houston noch einmal gesehen?«
»Ich habe sie noch einmal in der Hotelhalle getroffen, wie das so vorkommt«, sagte Alina. »Wir lächelten einander zu, und sie sagte mir noch einmal, wie sehr ihr mein Referat gefallen habe. Bei dieser Gelegenheit habe ich sie nach den Vorstellungsgesprächen gefragt.
Ich hatte aber den Eindruck, sie hatte keine Lust, herumzusitzen und zu reden. Sie schien auf dem Weg irgendwohin zu sein. Es tut mir leid, aber mehr ist da nicht. Ich fürchte, all dies hat Ihnen nicht ein bißchen weitergeholfen.«
»Da irren Sie sich aber«, sagte Kate. »Es hat mir sehr viel weitergeholfen, und ich bin Ihnen sehr dankbar. Nach allem, was Sie über das Leben und die Romane der Stanton wissen – glauben Sie, daß sie ein Kind hatte?«
Alina starrte sie an. »Um Himmels willen, nein. Ihr ganzes Leben lang schien sie einer Heirat und Kindern peinlichst aus dem Wege zu gehen, soweit ich das beurteilen kann. Ob sie nun nicht die Möglichkeit hatte, den richtigen Mann zu finden, wie wir bisher angenommen hatten, oder ob sie grundsätzlich nicht heiraten wollte, was ich heute eher glaube, jedenfalls hatte sie eindeutig beschlossen, sich den Teufel um das Bügeln von Herrenhemden und das Stopfen von Männersocken zu kümmern. Wahrscheinlich projiziere ich meine Vorstellungen auf andere Menschen, wie Psychoanalytiker das nennen«, fügte Alina mit einer intellektuellen Differenziertheit hinzu, die Kate bisher an ihr noch nicht bemerkt hatte. »Ich halte nichts von dem Satz: ›Zu meiner Zeit war das nicht möglich‹.«
»Ich glaube nicht, daß das jemals leicht war; vielleicht war es auch gar keine bewußte Entscheidung. Haben Sie sich jemals über Jane Austen gewundert?«
Alina ließ das als rhetorische Frage im Raum stehen. Sie stand langsam auf, stellte ihr Glas ab und ergriff ihre Sachen. »Vielen Dank für den Drink und für das Gespräch«, sagte sie. »Wenn ich Ihnen noch weiter helfen kann, lassen Sie es mich wissen. Ich habe Ihnen meine Zimmernummer und meine Heimatadresse aufgeschrieben. Es ist ein Vergnügen, sich mit Ihnen zu unterhalten, und ich würde mich freuen, wenn sich noch einmal die Gelegenheit dazu ergäbe.« Kate brachte sie zur Tür und nahm das Stück Papier mit Alinas Adresse und Zimmernummer entgegen; Alinas letzte Bemerkung hieß für Kate soviel wie: In dem Teil von Idaho, in dem ich lebe, gibt es nicht viele Leute wie Sie. Kate hätte ihr gern gesagt: Wir New Yorker gehören zu einer besonderen Spezies, oft verachtet und manchmal hoch geschätzt. Aber sie schwieg. Sie wünschte, sie könnte etwas besonders Nettes für Alina tun, aber diese Großmütigkeit mußte sie wohl Charlie überlassen.
Da sie Alina so unerwartet getroffen hatte, hatte sie ihre anderen Nachrichten noch nicht abgeholt. Sie machte sich erneut auf den Weg, auf ein weiteres Erlebnis mit den Fahrstühlen gefaßt. »Beklage dich nie zu laut über die Aufzüge«, hatte
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