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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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Schmerz, wie ich ihn seit damals wohl nicht mehr empfunden hatte.
    Sie holte tief Luft. »Das alles weiß kaum jemand in Tigerfeld, weil wir aus Trochtelfingen stammen.«
    Daher also diese rätselhafte Ähnlichkeit zwischen Franziska und Amelie.
    Klar, dass von dieser Verwandtschaft fast niemand im Ort wusste. Die Familie hatte sich gehütet, in den katholischen Dörfern um Tigerfeld zum Gespräch zu werden als Verwandte einer Ermordeten, ja sogar einer Vergewaltigten.
    Jörg musste von diesen Familienzusammenhängen gewusst haben. Aber entweder war er zu schüchtern gewesen, mir etwas davon zu sagen, oder er besaß ein Taktgefühl, wie man es unter Bauern nicht unbedingt vermuten würde. Anton Fendler wusste von diesen Verwandtschaftsbeziehungen wahrscheinlich nichts: Er hätte es mir wohl gesagt.
    Nach dem Blick zu schließen, mit dem Jörg mich und immer wieder auch Franziska anstarrte, gab es nichts Vorbereitetes oder Abgesprochenes zwischen den beiden.
    Was sollte ich sagen?
    Eine Verwandte von Amelie war aufgetaucht. Na, und? Das war in diesen Dörfern, wo fast jeder mit jedem verwandt oder wenigstens verschwägert ist, irgendwann ja zu erwarten. Unsere Beziehung war damals nicht auf die Bekanntschaft mit Verwandten ausgedehnt worden. Da wären schon die Eltern, vor allem der Stiefvater, dazwischengestanden. Waren aus alledem Schlüsse zu ziehen, die irgendetwas mit der Wirtschaftlichkeit der projektierten Windkraftanlage zu tun hatten? Natürlich nicht!
    »Schön«, sagte ich kühl, vielleicht zu kühl, »freut mich, Frau Franziska Fischer, dass ich Sie kennenlerne.«
    Dr. Hagenbach war über meinen kühlen Ton empört. Jörg stand die Angst im Gesicht.
    Franziska gab nicht auf, diese junge Frau würde nie aufgeben. Keine Frage, sie war es, die in Tigerfeld bleiben wollte, und zwar als Frau des Chefs einer größeren Werkstatt, ja, wenn alles gut lief, eines mittelständischen Unternehmens. Jedenfalls war sie die treibende Kraft und nicht Jörg.
    Franziska sprach: »Sie müssen wissen, was Sie tun.«
    »Ich habe eine Aufgabe«, warf ich rasch hin, »die ich erledigen muss, so gut ich kann und so gut ich weiß und so gut, wie es von mir verlangt wird.«
    Nun kam die zweite Sensation des Abends.
    »Aber«, sagte sie, »ich will und darf Sie nicht drängen, das weiß ich, und es ist sicher so, wie sie es sagen.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause. »Und das, was ich noch sagen wollte, hat mit Ihren Aufgaben selbstverständlich nichts zu tun. Aber ich muss es einfach loswerden.« Sie blickte mich eindringlich an und gleichzeitig auch mit überaus gekonnter Naivität. »Bei uns in der Familie weiß man manches über damals, was Sie interessieren müsste.« Ihr Blick war mindestens so herausfordernd wie der einer Bewerberin um den Posten einer Vorstandssekretärin.
    Ich bin unbestechlich, wollte ich sagen. Aber ich stockte. Hier war vielleicht etwas zu erfahren, was zur Aufklärung des Verbrechens an Amelie beitragen konnte. Nur vielleicht, sagte ich mir. Aber es nützte nichts. Ich war bereits mit Haut und Haaren gefangen.
    »Nun«, sagte ich zweideutig, »es ist ja noch nicht aller Tage Abend, Frau Fischer. Die Auswertungen sind im Gange, und man wird sehen.«
    Das klang hoffentlich harmlos genug, um Dr. Hagenbach nicht auf üblen Verdacht zu bringen. Und andererseits offen genug, dass sie merken musste, dass die Grundlagen meiner Berechnungsweisen des Windrads um winzige Nuancen verschoben waren.
    »Ich bin ja im Übrigen auch noch da«, sagte Dr. Hagenbach sanft mit leuchtender Brille und legte die Hand auf ihren Arm.
    Und ich hatte mit dem rosigen Männlein Zölibat und Mönchstum assoziiert!
    Franziska lächelte ihm zu. Jörg hatte geschwiegen. Es mochte ihm peinlich sein, wie seine Braut das Gespräch an sich gerissen hatte. Andererseits war er in einer Situation, in der er auch nicht den kleinsten Strohhalm loslassen durfte.
    So stöhnte er zuerst und legte dann den Arm um sie. »Danke, Franziska«, sagte er und flüsterte ihr noch etwas ins Ohr.
    Bei einer Bestechung sind zwei Dinge zu beachten: Der Wert des Gutes, mit dem bestochen wird, und der Wert des Gutes, das derjenige, der besticht, erzielen will. Unter bestimmten Voraussetzungen, die hier gegeben waren, kann eine Bestechung zu einer Erpressung werden. Es ist dann eine Frage der Richtung.
    Franziska wollte eigentlich etwas von mir, etwas, das ihr und ihrem Verlobten so unsäglich viel bedeutete, dass ich die Richtung ohne Weiteres umdrehen konnte.

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