Albspargel
Amelie nach.
Die entscheidende Frage stellte Dr. Hagenbach: »Wer bedroht uns nun eigentlich auf dem Zettel? Der Mörder Amelies oder der Mörder Fritz Pocherds?«
»Eigentlich eher der Mörder Pocherds«, stellte ich ernüchtert fest. »Aber sicher sagen kann das wohl nicht einmal der Herr Hauptkommissar.«
Am nächsten Morgen prangte wieder ein Zettel, diesmal an meiner Windschutzscheibe:
Hört auf mit der Schnüffelei, sonst gibt es ein Unglück
.
Wir bemerkten die verbesserte Rechtschreibung.
Hohwachter warf einen Blick darauf, dann lobte er uns ohne Zusammenhang: »Wichtige Aussage von dieser Mechthild. Habe sie schon öfter beim Holzbeigen gesehen. Unglaublich, diese Frau, hundert Jahre alt? Zweihundert?«
Weshalb ihre Aussage wichtig war, verriet er uns nicht.
Wer bedrohte uns? Alle die vielen Investoren, die um ihr Geld bangten? Immer noch die Frage: War Fritz Pocherd ein Betrüger? Rache für die verlorene Altersversorgung? Für die Werkstatt? Für den Verlust des gewohnten Lebensstils? Oder einfach Rache, blind und hart?
Alle Anleger verdächtig? Diese Liste war riesig. Wie einfach hatten es doch da die Kommissare mit ihrer Soko: Alibis prüfen, Reifenabdrücke analysieren.
Die Reifenabdrücke, erfuhren wir, stammten von einem kurz vor der Tat in Hechingen gestohlenen Fahrzeug, das drei Tage später in einem Parkhaus in Ravensburg gefunden worden war. Die Suche nach Fingerabdrücken hatte keine ergiebigen Ergebnisse erbracht. Dabei gab es noch viele andere Möglichkeiten aus dem Dorfumfeld oder von weit außerhalb, von denen wir keine Ahnung hatten.
Hohwachter bestätigte es: »Finger weg«, sagte er, »das heißt aber nicht, dass Sie ganz aufhören sollen. Ich habe es schon mehrfach gesagt. Als Ermittler sind Sie unbrauchbar, das wissen Sie selbst. Aber als Zugmaschinen und Eisbrecher? Sehr gut.«
Die Wiederaufnahme der Arbeiten an dem Windkraftgutachten war in der Presse groß herausgestellt worden. Wieder wuchsen Hoffnungen auf beiden Seiten, wieder flammten die Diskussionen auf, in den Wirtshäusern, in den Leserbriefspalten – mich ging es nichts mehr an.
Von einer Prügelei im
Löwen
in Eglingen las man in der Presse. Dort, drei Gehstunden von Tigerfeld entfernt, saßen spätabends am Stammtisch zwei Anleger aus Aichelau. Der Gesangverein beendete seine Probe im Saal, es kam zu Wortwechseln, Beschimpfungen, zum Schluss prügelten wenigstens sieben Gäste aufeinander ein, und der Wirt rief die Polizei. Verletzte, Sachschäden.
Ich kümmerte mich um unsere beiden Fälle. Und Dr. Hagenbach zog in jeder freien Minute mit. Wäre das nicht undenkbar gewesen, hätte er wohl sogar Urlaub genommen. Ich hatte den Eindruck, dass es nicht nur das Räuber- und Gendarmspiel war. Wohl zum ersten Mal bekam er das große Problem der Naturwissenschaften zu spüren: Ausgangspunkt wie Ergebnisse sind immer sachlich und oft eindeutig, gemäß den Naturgesetzen und damit scheinbar alternativlos. Kommt aber die Umsetzung, sieht man die Folgen, manchmal ganz unabsehbare, und damit scheidet die Alternativlosigkeit der reinen naturwissenschaftlichen Erkenntnis plötzlich aus. Problem des Wissenschaftlers, der die Welt steuert – naiv?
»Wir müssen die beiden Fälle endlich säuberlich trennen. Das hätten wir schon lange tun sollen«, schlug Dr. Hagenbach vor.
»Sicher«, sagte ich, »ich weiß aber nicht, ob das besser gewesen wäre. Doch es ist müßig, jetzt noch darüber zu streiten.«
Zum Fall Amelie Riegeler gehörten die Fischers mit dem Fund der Schuhe in der Kiesgrube. Die entflohene Helene Strauß, aber auch Franziska und möglicherweise noch weitere Personen aus diesen beiden Familien mussten eingerechnet werden.
Dazu die Großmutter von Hans Egle: Sie kannte den Täter – und hatte ihn nicht verraten! Sie erhielt durch Zufall die wichtigsten Beweisstücke des Tatorts und hatte sie weggeworfen. Selbst diese Vernichtung aber war fragwürdig: Hatte sie die Schuhe zum Müll gebracht – vielleicht so, dass sie gefunden werden sollten? Hatte jemand anderes sie auf dem Müll entsorgt? Mit oder ohne Nebenabsichten? Etwas war hier schiefgelaufen, wie Frau Strauß zugegeben hatte, aber das war jetzt unwichtig.
Die Familie Pocherd, die zur Verwandtschaft zählte, war ebenfalls nicht unverdächtig, vor allem Karl Pocherd als mein Rivale hatte ja ein Motiv – aber dann hätte er bestimmt nicht Amelie umgebracht, sondern mich. Selbst Fritz konnte nicht ganz aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen
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