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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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zwar erfolgversprechendste, doch Frau Helene Strauß aus Geisingen steckte für uns unzugänglich im Rheinland. Und hätte sie auch nur das Geringste verraten?
    So standen wir da, wie es uns Hohwachter und noch mehr der unerträgliche Steinhilber vorausgesagt hatten: Ohne den Täter, ja, ohne einen wirklichen Verdächtigen.
    Letztlich so schlau wie am Anfang.

Der Leichnam Fritz Pocherds wurde freigegeben, und die Beerdigung, die Leich, wie man hier oben sagt, konnte nach Wochen endlich stattfinden.
    Der Kirchhof von Tigerfeld ist winzig hinter dem Kranz der Wehrmauer, so klein, dass das Grab meines Onkels und meiner Tante, als ich in den Ort zurückkam, bereits aufgelassen war. Ich hatte von Stuttgart aus eine Verlängerung beantragt und hätte viel Geld bezahlt, aber ich hatte keinen Erfolg.
    Karl Pocherd, der einzige Sohn des Opfers, war aus Amerika angereist. Das halbe Dorf hatte zugesehen, als er einem Leihfahrzeug entstieg und von seiner Mutter empfangen wurde. So wurde in Pfronstetten berichtet. Ich sah ihn zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder.
    Als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er ein junger Mann gewesen. Jetzt war er ein gestandenes Mannsbild. Wie sein Vater breit und kräftig, aber untersetzter und gleichzeitig massiger und bulliger. Er sah seinem Vater damals ähnlicher als heute mit seinem Stiernacken. Aber gleichzeitig erschien er weltmännischer, agiler, gewandter, vielleicht auch ein wenig gerissen, eben »amerikanisch«, wie man hier oben sagte. Er würde Amerikaner werden. Sein Einbürgerungsverfahren laufe, so wurde im Ort erzählt.
    Windstiller Spätherbsttag, wolkenlos.
    Das Dorf war schwarz vor Menschen, Presse – nicht mehr die nationale wie unmittelbar nach dem Verbrechen, aber die regionale bis hinauf ins Oberland, hinab nach Reutlingen und hinein ins Hohenzollerische.
    In der Tigerfelder Kirche und auf dem Kirchhof hatte kaum ein Zehntel der Besucher Platz. Ich stand in tiefem Schatten in der Nähe des breiten Eingangstors zum ehrwürdigen Pfarrhof, in dem der Sarg vor der alten Sommerresidenz der Äbte von Zwiefalten mit dem riesigen Wappen des Klosters aufgebahrt war. Hinter mir grell auf dem Kirchturm die flach einfallende Sonne. Neben mir redete fast ununterbrochen der Kronenwirt. In der Menge sah ich auch die beiden Hauptkommissare.
    Tigerfeld war zwar Pfarrei und die Kirche des Heiligen Stephanus ein uraltes Pfarrzentrum. Aber wie in fast allen Kirchengemeinden der Alb war aus mehreren Gemeinden längst eine Großgemeinde gebildet worden, in welcher der Pfarrer weder präsent sein konnte noch Kontakt zu den Menschen hatte – langfristig der Tod der katholischen Kirche, was ich bedauere.
    Von den Reden, die gehalten wurden, verstand ich – nicht nur wegen des ständig redenden Kronenwirts – kaum einen zusammenhängenden Satz. Der Kirchenchor von Tigerfeld mit: »Wir sind nur Gast auf Erden« hörte sich aus der Entfernung und im Freien dünn an. Die Zeremonie, für mich unsichtbar und meist unhörbar, dauerte lange, so dass ich, auch um dem Geschwätz des Kronenwirts zu entgehen, Erinnerungen wachrief.
    Es war bei einer Drückjagd. Ich hatte mich als einer der wenigen Treiber einteilen lassen, obwohl ich dafür eigentlich zu alt war. Ich war als Kind oft mit dem Onkel auf den Sommeransitz auf Rehböcke gegangen. Jetzt als Erwachsener wollte ich einmal die Stimmung einer Drückjagd erleben. Zum Schluss lag die recht große Strecke auf einer Wiese. Wildsauen: Keiler, Überläufer, Rehwild: Ricken, Schmalrehe, Kitze, dazu zwei Hasen und ein Fuchs.
    Die Jäger standen in ihren bei solchen Jagden üblichen roten Signaljacken in einer Gruppe zusammen; deutlich hob sich die Stimme von Fritz ab. Er war als Jungjäger zum ersten Mal dabei, und die ganze waidmännische Gesellschaft vernahm seine Heldentaten. Er hatte einen Überläufer, ein halbwüchsiges Wildschwein, in vollem Lauf getroffen und zwar so gut, dass das Stück Wild sogleich liegen blieb. Er schilderte dramatisch und mit dem für ihn typischen beschwörenden Unterton, der den Zuhörer immer in die erlebte Situation hineinzwang, wie der junge Keiler zuerst nur als schnell sich näherndes Rascheln im Gebüsch rechter Hand auszumachen war. Wie er ihn dann plötzlich auf der engen Schneise des Waldwegs wahrgenommen hatte, ein schmaler Schatten, und wie Fritz seine Büchse bereits erhoben hatte und abdrückte und die Wildsau vom eigenen Schwung noch über den Weg getragen im Gebüsch zur linken Hand liegen geblieben

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