Albtraum
uns!
Sie machte sich Mut, atmete noch einmal tief durch und stieg aus. Sie ging den kurzen Weg zu den Eingangsstufen, stieg hinauf zur Veranda und klopfte.
Als nach einigen Sekunden keine Antwort kam, schlug sie mit der Hand gegen die Tür.
Kurz darauf öffnete sich die Tür einen Spalt. Kate sah, dass Julianna einen dünnen, seidigen Morgenmantel trug. Ihr Haar war zerzaust, das Gesicht erhitzt.
Da flieht meine letzte Hoffnung, dass sie wirklich arbeiten. Ich Närrin, ich vertrauensselige Kuh.
„Ich möchte meinen Mann sprechen“, sagte sie mit bebender Stimme. „Sofort!“
„Ich weiß nicht, was …“
„Kommen Sie mir nicht so! Sein Auto steht draußen.“ Kate schob die Tür auf und drängte sich an Julianna vorbei.
„Wie können Sie es wagen!“ schrie Julianna.
Richard erschien in der Schlafzimmertür und schloss eilig den Reißverschluss seiner Hose. „Julianna, ist alles in Ord…“ Als er Kate entdeckte, blieb er wie angewurzelt stehen, die Gesichtszüge entgleisten. Wenn es nicht so tragisch gewesen wäre, wäre es komisch gewesen. „K…Kate“, stammelte er, „was tust du denn hier?“
„Es wäre wohl wichtiger zu erfahren, was du hier tust?“ fragte sie mit Tränen in den Augen.
„Es ist nicht so, wie es aussieht.“
„Nein? Wie ist es dann?“
„Es …“ Er blickte zu Julianna, die nur die Hände rang. Diese geheuchelte Unschuld verursachte Kate Übelkeit. „Ich hatte … mir Kaffee übers Hemd gegossen und … zog es aus …“
Er brachte den Satz nicht zu Ende. Wie Richard halb nackt dastand und lahm nach einer Ausrede dafür suchte, warum er sich am Samstagnachmittag im Schlafzimmer seiner Assistentin befand, raubte Kate die letzten Illusionen. Er war ein Schwächling, er war oberflächlich und vollkommen ichbezogen. Hatte der Mann, den sie so lange geliebt hatte, überhaupt jemals existiert?
„Kate“, sagte er leise und streckte bittend eine Hand aus. „Ich kann es erklären.“
Sie dachte an ihren Streit vor einigen Wochen und an seinen Versuch, ihrSchuldgefühle zu verursachen, weil sie durch ihr irrationales Verhalten ihre Ehe aufs Spiel setze. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und rang um Fassung, da Zorn und Enttäuschung, sie zu zerreißen drohten. „Wie kannst du es erklären, Richard? Indem du mir sagst, ich sei eine eifersüchtige, besitzergreifende Schreckschraube. Oder indem du mir vorwirfst, ich würde nicht an dich glauben und habe keinen Humor mehr?“Er sah sie nur an. Zum ersten Mal war der gewiefte Anwalt sprachlos. Sie wandte kurz den Blick ab, ehe sie ihn ein letztes Mal wütend anfuhr: „Du Mistkerl! Ich habe dir vertraut. Komm nicht nach Hause, Richard. Du bist dort nicht mehr erwünscht!“
56. KAPITEL
Am Abend stand Kate neben dem Kinderbett und betrachtete ihre Tochter. Die schlief den unbekümmerten Schlaf der ganz Jungen, Unschuldigen, die noch keine Ängste zu bewältigen und keinen Betrug zu verwinden hatten.
Kates Augen schwammen in Tränen. Sie hätte die Kleine jetzt gern gestreichelt, unterließ es jedoch. Sie wollte sie nicht aufwecken, nur weil ihre Mutter Trost brauchte.
Sie ist so hübsch, dachte sie, so süß und bezaubernd, und sie hat uns so viel Freude geschenkt. Nein, nicht uns, sondern nur mir. Richards Untreue bewies das. Wenn es ihm auch nur ansatzweise wichtig gewesen wäre, Emmas Vater zu sein, hätte er ihre Beziehung nicht weggeworfen.
Kate legte eine Hand vor den Mund, um nicht verzweifelt aufzuschluchzen. Wie hatte Richard das nur tun können?
Sie wandte sich vom Bett ab und verließ das Kinderzimmer. In den Stunden, seit sie von Juliannas Apartment zurück war, hatte sie abwechselnd gewütet und geheult. Sie war nicht ans Telefon gegangen, obwohl es ein Dutzend Mal geklingelt hatte. Nach dem ersten Läuten hatte sie den Stecker vom Anrufbeantworter herausgezogen, um Richards Stimme nicht hören zu müssen. Sie wollte ihn weder hören noch mit ihm reden. Nie mehr.
Wütend über ihre Tränen, presste sie die Handballen auf die Augen. Er verdiente keine Träne, dieser lügende, betrügende Mistkerl.
Sie sank auf die Couch und fragte sich, wie lange die Sache mit Julianna schon ging. Oder hatte er sie etwa aus Liebe eingestellt? Hatte es mehrere Juliannas gegeben?
Sie holte sich ein Papiertaschentuch, wischte sich die Augen,putzte sich die Nase und warf es in den Abfall. Hatte Richard sie überhaupt je geliebt, oder hatte er sie bloß geheiratet, damit Luke sie nicht bekam? Oder vielleicht, weil sie
Weitere Kostenlose Bücher