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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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nicht viel auf Verführung. Diejenigen unter euch, die schon einmal das Kellerarchiv einer Universitätsbibliothek besucht haben, besonders die Abteilung für Philosophie, wissen, wovon ich spreche. An diesen Orten stehen die Regale irgendwann immer enger und enger zusammen, und sie reichen immer höher und höher hinauf. In den Ecken und an den Stellen, wo die Gänge sich teilen, tauchen unvermittelt Bücherstapel auf, die noch darauf warten, irgendwann einsortiert zu werden. Darunter finden sich Dinge wie eine alte Edition der Summa Theologica (mindestens vierte Generation) oder eine unvermeidliche Ausgabe von Betty und ihre Schwestern.
    Der Staub sammelt sich auf den Büchern, überzieht sie wie eine gräuliche Unterart von Regenwaldmoosen und verleiht der Luft diesen muffigen, abstoßenden Geruch, der entfernt an den Gestank in der Höhle eines Hortdrachens erinnert. Und wann immer man um eine Ecke biegt, erwartet man, auf das vertrocknete Skelett eines armen Forschers zu stoßen, der sich zwischen den Regalen verlaufen und nie wieder hinausgefunden hat.
    Und selbst diese Bibliotheken sind nur fahle Abkömmlinge der enormen Höhle voller Bücher, die ich an diesem Tag betrat. Wir schlichen an Regalen entlang, die so eng aneinanderstanden, dass nur ein magersüchtiger Jockey sich zwischen ihnen hätte hindurchzwängen können. Die Regalbretter erreichten eine Höhe von mindestens fünf Metern, und auf riesigen Schildern am Anfang jeder Reihe waren in winzigen Buchstaben die Titel aufgelistet, die jedes der Bretter enthielt. An manchen Regalen lehnten lange Holzstäbe mit pinzettenartigen Haken am Ende, und ich dachte zunächst, dass sie dafür gedacht waren, sie zwischen die Reihen zu schieben, um einzelne Bücher herausziehen zu können.
    Nein, verwarf ich schließlich die Idee, man würde ja ewig brauchen, bis man den Dreh raus hätte. Ich muss mich irren.
    Ihr seid vielleicht schon darauf gekommen, dass ich mich nicht irrte. Bibliothekare in der Ausbildung haben jede Menge Zeit, um solche vollkommen sinnlosen Dinge zu lernen. Eigentlich müssen sie nur drei Aufgaben bewältigen: Erstens: das unglaublich unpraktische und viel zu komplizierte Katalogsystem verstehen, nach dem die Bände in den hintersten Reihen sortiert sind. Zweitens: den Umgang mit den Bücherhaken trainieren. Drittens: sich neue Wege ausdenken, um die unschuldige Bevölkerung zu quälen.
    Der dritte Punkt macht am meisten Spaß. Es ist so eine Art Sportstunde für geisteskranke Massenmörder.
    Sing, Bastille und ich schlichen also die Reihen entlang und hielten dabei immer Ausschau nach den Bibliothekaren in Ausbildung. Das war ganz ohne Zweifel das Gefährlichste, was ich bis dahin in meinem kurzen Leben getan hatte. Glücklicherweise erreichten wir ohne Zwischenfälle das östliche Ende des Raumes.
    »Wir sollten uns an der Wand entlangbewegen«, schlug Bastille leise vor. »Dann kann Alcatraz jeweils die Regalreihen einsehen. So entdeckt er vielleicht eine starke okulatorische Energiequelle.«
    Sing nickte. »Aber wir sollten uns beeilen. Wir müssen den Sand finden und möglichst schnell wieder verschwinden, bevor die Bibliothekare merken, dass wir sie infiltriert haben.«
    Beide sahen mich erwartungsvoll an. »Ähm, ja, das klingt gut«, sagte ich schließlich.
    »Du bist ja wirklich eine geborene Führungspersönlichkeit, Smedry«, bemerkte Bastille sarkastisch. »Eine wahre Inspiration. Also los, machen wir uns auf die Socken.«
    Bastille und Sing schoben sich an der Wand entlang, doch ich folgte ihnen nicht. Ich hatte gerade etwas entdeckt, das über uns an der Wand hing: ein riesiges Gemälde, das anscheinend eine aufwändig gestaltete, detaillierte Weltkarte darstellte.
    Und sie sah der Version, die ich kannte, kein bisschen ähnlich.

 
KAPITEL ACHT
     
     
    Jetzt erwartet ihr wahrscheinlich, so etwas zu lesen wie: »Plötzlich wurde mir bewusst, dass alles, was ich zu wissen geglaubt hatte, eine Lüge war.«
    Obwohl ich wahrscheinlich genau diese Worte gebrauchen werde, sollte ich euch warnen, dass dieser Satz ein wenig irreführend ist. Nicht alles, was ich wusste, war eine Lüge. Tatsächlich waren viele Dinge, die man mir über die Welt beigebracht hatte, wahr.
    Zum Beispiel wusste ich, dass jeden Tag die Sonne aufging. Das war wahr. (Obwohl sie ihre Strahlen zugegebenermaßen über einen Planeten schickte, dessen Geographie sich mir nicht erschloss.) Ich wusste, dass mein Heimatland die Vereinigten Staaten von Amerika genannt

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