Alcatraz und die dunkle Bibliothek
dafür dienen, dass ich recht habe. So wie Plato einmal sagte, wie sein Freund Sokrates einmal sagte: »Ich weiß, dass ich recht habe, da ich der einzige Mensch bin, der bescheiden genug ist zuzugeben, dass er unrecht hat.«
Oder irgendwie so.
Eine geraume Zeit lang stand ich einfach nur da und starrte auf die Karte. Ein Teil von mir – der größte Teil von mir – sträubte sich gegen das, was ich dort sah. Aber all das, was ich an diesem Tag bereits erlebt hatte, schwirrte in meinem Kopf herum und erinnerte mich daran, dass die Dinge – wie etwa Kühlschränke in Tankstellen oder junge Männer, die Küchen in Brand stecken – nicht immer so einfach waren, wie sie auf den ersten Blick zu sein schienen.
»Damit werde ich mich später auseinandersetzen«, verkündete ich schließlich und wandte mich ab. »Sehen wir zu, dass wir weiterkommen.«
»Na endlich«, stöhnte Bastille. »Ihr Mundtoten. Ehrlich, manchmal habe ich den Eindruck, dass man euch erst einen Hammer über den Schädel ziehen muss, damit ihr aufwacht und die Wahrheit erkennt.«
»Also wirklich, Bastille«, sagte Sing tadelnd, während wir an einem langen, niedrigen Aktenschrank entlanggingen. »Das ist nicht fair. Meiner Meinung nach schlägt sich der junge Lord Smedry alles in allem wirklich tapfer. Schließlich erfährt man nicht jeden Tag, dass …
Grmpf!«
Diesen letzten Laut stieß Sing aus, als er plötzlich und ohne erkennbaren Grund stolperte und fiel. Stirnrunzelnd sah ich zu ihm hinunter, aber Bastille reagierte sofort. Sie sprang geschickt über Sing hinweg, packte mich am Arm und riss mich hinter dem Aktenschrank zu Boden. Dann ging sie neben mir in Deckung.
»Warum …«, setzte ich an und rieb mir irritiert den Arm. Bastille legte mir hastig eine Hand auf den Mund und warf mir einen feindseligen Blick zu, der mich schnell davon überzeugte, jetzt besser still zu sein.
Also schwieg ich. Dann hörte ich etwas. Stimmen, die in unsere Richtung kamen.
Bastille zog ihre Hand zurück und spähte vorsichtig über den Aktenschrank hinweg in den Raum. Ich wollte es ihr gleichtun und bekam sofort noch einen Blick verpasst – er war so stechend, dass ich ihn trotz der dunklen Sonnenbrille bemerkte. Aber diesmal ließ ich mich nicht einschüchtern.
Wenn sie nachsehen kann, was los ist, dann kann ich das auch, dachte ich trotzig. Ich war nicht dreizehn Jahre lang eine unerträgliche Zumutung, um mich jetzt von einem Mädchen herumschubsen zu lassen, das gerade mal so alt ist wie ich. Selbst wenn sie mit dieser Handtasche verdammt gut zielen kann.
Ich spähte also über den Aktenschrank. In einiger Entfernung entdeckte ich zwischen zwei Regalreihen ein paar Gestalten. Die meisten von ihnen trugen eine Art dunkle Robe.
»Bibliothekare in Ausbildung«, wisperte Sing, der inzwischen neben mir kauerte. »Sie lösen gerade eine Aufgabe. Irgendwo in diesem Raum haben die Bibliothekarsmeister ein falsch einsortiertes Buch versteckt. Die Auszubildenden müssen es jetzt finden.«
Ich betrachtete die scheinbar endlosen Reihen von vollgestellten Regalbrettern. »Aber das könnte Jahre dauern«, flüsterte ich.
Sing nickte. »Der Druck lässt manche von ihnen durchdrehen. Normalerweise werden die dann als Erste befördert.«
Als die Gruppe sich wieder in Bewegung setzte, konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken. Hinter ihnen stapften ein paar wesentlich größere Gestalten einher, und die trugen keine Roben. Sie waren vollkommen weiß, und ihren Bewegungen haftete etwas Unnatürliches an. Ihr Gang war irgendwie unsicher, ihre Arme standen in einem komischen Winkel vom Oberkörper ab. Sie folgten den Bibliothekaren in Ausbildung mit schweren Schritten, manche von ihnen schleppten Bücherstapel.
Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Die weißen Gestalten schienen zu glühen, und um sie herum lag ein dunkler Nebel in der Luft. Dann bogen die Auszubildenden und ihre weißen Begleiter um eine Ecke und verschwanden aus unserem Blickfeld.
»Was waren das für Wesen?«, flüsterte ich. »Diese weißen Dinger, die sie dabeihatten?«
»Belebte«, erklärte Bastille mit einem Schaudern. Mit einem flüchtigen Seitenblick zu mir stand sie auf. »Wenn Sing stolpert, Smedry, sollte man sich sofort ducken.«
»Du stolperst immer, wenn Gefahr droht?«
»Natürlich nicht«, empörte sich Sing. »Ich stolpere nur, wenn Gefahr droht und das Stolpern in irgendeiner Weise hilfreich ist. Na ja, zumindest läuft es normalerweise so
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