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Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Titel: Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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spreche von den anderen Ärzten. Eine Bande von Tölpeln, denke ich. Anscheinend hat die Seuche unsere besten Ärzte dahingerafft und nur Idioten zu- rückgelassen.« Er erhob sich von seinem Stuhl und setzte sich auf einen anderen, der näher bei Alejandro stand. Er beugte sich vor und wirkte sehr erregt. »Aber in Euren Augen sehe ich Feuer und eine Liebe zum Lernen, und das erfreut mein Herz.«
    »Ihr erweist mir zuviel Ehre, Herr.«
    De Chauliac musterte ihn eingehend. »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Ich habe beobachtet, wie Ihr meine Vorträge anhört, und Ihr könnt Eure Intelligenz nicht verbergen. Ich habe mich danach gesehnt, mit jemandem zu sprechen, der über die Sepsis dasselbe denkt wie ich. Ich bin froh, daß Ihr Euch heute zu Wort gemeldet habt. Jetzt müßt Ihr mir sagen, wie Ihr zu Eurer Überzeugung gekommen seid, daß Wein zur Heilung von Wunden beiträgt.«
    Alejandro entspannte sich; er begriff, daß er nicht entdeckt worden war, sondern daß de Chau- liac ebenso wißbegierig war wie er selbst. »Ich habe viele Experimente mit verschiedenen Flüssigkeiten gemacht, um nach Operationen Wunden zu waschen«, begann er, »und es gibt viele, die keinerlei Wirkung haben. Manche scheinen die Heilung sogar zu verzögern. Aber Wein, selbst der schlechteste, ungenießbare Wein, beschleunigt den Heilungsprozeß immer. Das habe ich jedenfalls beobachtet. Zuerst habe ich es gesehen, als ich in Montpelllier war .«
    »Ihr habt in Montpellier studiert?«
    »Ja«, sagte Alejandro.
    »Ich halte oft Vorlesungen in Montpellier. Wann wart Ihr dort? Vielleicht habt Ihr damals einen meiner Vorträge gehört.«
    »Ich war dort ...«, begann Alejandro, hielt dann aber inne; er kannte die Jahreszahlen nur so, wie die Juden sie zählten. Er geriet in Panik; wie sollte er de Chauliac erklären, daß er das Jahr nicht wußte?
    »Ich war, äh, vor sechs Jahren dort.«
    »Also 1342.«
    »Ja.« Seine Stirn wurde heiß und feucht.
    »Ach, dann haben wir uns vielleicht verpaßt. Ich habe dieses Jahr in Paris verbracht und den König behandelt. Er leidet fürchterlich unter Gicht. Mich überrascht das nicht; trotz seiner unerklärlichen Schlankheit ernährt der Mann sich sündhaft üppig, sosehr ich ihn auch um Mäßigung bitte.« Mit Schwung hob er seinen Becher und trank einen Schluck Wein. »Seine Majestät wollte keinen anderen Arzt als mich, deswegen war ich gezwungen, meine Lehrtätigkeit für die Dauer seiner Krankheit aufzugeben. Ein Jammer, daß wir uns damals nicht getroffen haben; ich denke, ich hätte einen bemerkenswerten Studenten wie Euch im Gedächtnis behalten und mich über ihn gefreut.«
    Zweifellos würde ich mich auch an Euch erinnern, dachte Alejandro. Aber mit Freude ...
    »Nun, es spielt keine Rolle«, sagte de Chauliac. »Jetzt seid Ihr hier. Wie kommt ein Spanier nach Avignon?«
    Nach einer kurzen Pause sagte Alejandro leise: »Ich bin auf Wunsch meiner Familie hier.« Nähere Erläuterungen gab er nicht.
    Aber de Chauliac fragte nicht weiter nach seinem persönlichen Leben; ihm lag mehr daran, von anderen Dingen zu sprechen. »Ihr sagt also, Ihr seid zu diesem Schluß über den Wein gekommen, indem Ihr einfach wieder und wieder Versuche mit anderen Mitteln gemacht habt, bis Ihr deren Wirkung kanntet? Wie wunderbar originell! Wie oft warten wir, daß der Zufall uns etwas lehrt, und selbst dann lernen wir nur langsam .«
    Nach und nach wich Alejandros Panik, und er gab sich ganz der Diskussion hin; für den Rest des Abends unterhielten sie sich bei Wein und köstlichen Früchten und tauschten sich über Ideen und Theorien zu Chirurgie, Krankheit und Behandlungsmethoden aus. Wie gleichwertige Kollegen sprachen sie bis spät in die Nacht und teilten einander ihre Hoffnung auf die Entdeckung von Heilmethoden mit. Als Alejandro das Gemach de Chauliacs verließ, hatte er sehr viel mehr Respekt vor seinem Lehrer als bei seiner Ankunft, und er war ganz sicher, daß mit diesem Mann nicht zu scherzen war.
    Am dritten Tag bereitete de Chauliac seinen Schülern eine unerwartete Überraschung. Sie versammelten sich in einem großen, luftigen Raum im Erdgeschoß des Papstpalastes, einem angenehmen Saal mit vielen wunderbaren Gemälden. De Chau- liac stand hinter einem langen, mit einem schweren Tuch bedeckten Tisch und grinste breit. Als alle Studenten sich um den Tisch versammelt hatten, zog er das Tuch fort und enthüllte den Leichnam eines frisch verstorbenen Pestopfers, eines Mannes von vielleicht dreißig

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