Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Jahren.
Ein Raunen der Überraschung ging durch die Menge der versammelten Schüler, denn es war offensichtlich, daß de Chauliac die Absicht hatte, den Leichnam vor ihren Augen zu sezieren. »Wie Ihr alle wissen müßt, verbietet Seine Heiligkeit die Sektion von Leichen«, sagte er.
Alejandro stand schweigend da und dachte bei sich: Wenn Ihr ahnen würdet, wie gut ich das weiß
»Weil aber«, fuhr de Chauliac fort, »die Notwendigkeit gebietet, daß Ihr lernt, und weil solche Studien des Körpers aus unmittelbarer Anschauung so großen Nutzen bringen, hat Seine Heiligkeit mir die Erlaubnis gegeben, diesen Leichnam zu sezieren. Seinen Segen allerdings nicht, möchte ich hinzufügen, wenn das Opfer auch Jude war und ohnehin keine Aussicht auf Erlösung hatte ...«
Alejandro schaffte es irgendwie, Haltung zu bewahren; seine Augen wanderten zu den Lenden des Toten, wo er den unbestreitbaren Beweis seiner Zugehörigkeit zum Judentum erblickte.
»Und nun«, sagte de Chauliac, »brauche ich Hilfe.« Er sah Alejandro an. »Doktor Hernandez, würdet Ihr mir vielleicht zur Hand gehen?«
Traurig betrachtete Alejandro den Leichnam des Juden; der Hals war dick geschwollen, Finger und Zehen schwarz von angesammeltem Blut; er fand es eigenartig, daß er, der einzig andere anwesende Jude, derjenige sein sollte, der ihn aufschnitt. Vielleicht ist das bloß eine Strafe für meine Sünden, dachte er betrübt. Vielleicht ist es auch einfach Gottes Wille, daß mir diese Aufgabe gestellt wird, denn wer würde behutsamer mit dem Leichnam eines Juden umgehen als ein anderer Jude?
Er trat näher an de Chauliac heran und nahm schweigend Hammer und Meißel zur Hand. »Gut«, sagte de Chauliac, »Ihr nehmt die Öffnung vor.«
Alejandro legte eine Hand auf die Brust des Toten, um den richtigen Ansatzpunkt für den Meißel zu finden. Der Leichnam war noch nicht ganz kalt; der Mann konnte noch nicht länger als ein paar Stunden tot sein. Gut , dachte er, dann wird der Gestank nicht so schlimm sein. Wie in Cervere bei Carlos Alderon setzte Alejandro sorgfältig den
Meißel an und schlug dann mit dem Hammer darauf. Er hörte die Rippen brechen und legte die Werkzeuge beiseite. Er ergriff das Messer und nahm die entsprechenden Schnitte vor.
»Wie geschickt Ihr seid, Doktor Hernandez«, sagte de Chauliac, während er Alejandros Arbeit beobachtete. »Man könnte fast meinen, Ihr hättet das schon öfter gemacht.«
Der scheinbar beiläufige Kommentar verblüffte Alejandro. Was kann er damit meinen? fragte er sich nervös. Er fürchtete sich, de Chauliacs Blick zu begegnen, weil er Angst davor hatte, was er darin sehen würde: Wiedererkennen aus Montpellier vielleicht; Wissen um seinen wirklichen Namen und die Umstände seiner Flucht; den spöttischen Ausdruck von jemandem, der einen Mann seine möglicherweise letzte Handlung in Freiheit vollbringen sieht. Während er den Brustkorb öffnete, schwieg Alejandro. Das Herz des toten Juden war sehr groß, und alle Anwesenden wußten, was das bedeutete: daß der Mann auf dem Tisch vor ihnen im Leben ein sehr guter und freundlicher Mensch gewesen war. Mit qualvoller Langsamkeit hob Alejandro den Kopf und starrte seinen Lehrer an.
Ohne jede Emotion nickte de Chauliac und sagte: »Fahrt fort.«
Die Schreiber des Papstes fertigten Abschriften von Rezepten für Amulette und Arzneien an, die an die Ärzte verteilt wurden, zusammen mit reichen Vorräten an den für ihre Tränke notwendigen Ingredienzien.
Alejandro schrieb das, was er erhielt, direkt in sein Buch, wobei er darauf achtete, daß es genau den Angaben entsprach, die die Schreiber notiert hatten. Während er die letzten Eintragungen vornahm, erschien unangemeldet de Chauliac bei ihm und ertappte ihn mit dem Buch in den Händen.
»Ich bin wieder einmal erstaunt über Euren Fleiß, Doktor Hernandez; so etwas ist bei Spaniern selten.«
Ach, wenn er die Wahrheit wüßte ... aber vielleicht kennt er sie ...
Alejandro klappte das Buch rasch zu, ehe de Chauliac lesen konnte, was er geschrieben hatte, und sagte: »Ich habe seit meiner Studentenzeit die Gewohnheit, alles niederzuschreiben, was ich gelernt habe. Sonst könnte ich die Weisheiten vergessen, deren Träger ich sein soll.«
De Chauliac glaubte keine Sekunde lang, daß Alejandro auch nur die geringste Einzelheit des Gelernten vergessen würde. Er kann seinen Eifer nicht verbergen; er ist schlau und gestattet sich kein Versagen.
»Vielleicht können wir eines Tages wieder miteinander
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