Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
sich trotzdem weigern?« fragte er.
»Bittet sie, sich daran zu erinnern, daß Ihr die Macht des Allmächtigen Gottes besitzt, die Euch durch Seine Heiligkeit verliehen wurde, und daß Ihr, falls nötig, davon Gebrauch machen werdet, um ihre Gesundheit zu schützen.«
An diesem Abend fühlte Alejandro sich sehr klein und verwirrt, als er zu Bett ging. Das Schwierigste an dieser Aufgabe, dachte er, wird sein, die arroganten Patienten zum Gehorsam zu bewegen .
Am zweiten Tag erläuterte de Chauliac seine Theorien über die Ansteckung. »Es ist meine feste Überzeugung, die auf Beobachtung begründet ist, daß es in der Luft unsichtbare Säfte und Dämpfe gibt, und daß diese Ausdünstungen die Seuche verbreiten. Das lebende Opfer gibt diese Säfte an die Luft ab, wenn es atmet, und gibt so die Krankheit weiter, ohne daß das nächste Opfer ihr entkommen kann. Deshalb müssen die Patienten isoliert werden. Setzt sie in ihren Schlössern fest; laßt keine Händler oder Reisenden ein, die Ihr nicht untersucht habt. Und da man diese Dämpfe und Dünste nicht immer sehen kann, wenn sie sich bilden, ist es die klügste Vorgehensweise, überhaupt keinen Verkehr mit der Außenwelt zuzulassen. Mein geschätzter Vorgänger, Henri de Mandville, war sehr von seinen Ansichten über die Ansteckung überzeugt; er brachte meinen Lehrern bei, sich vor und nach dem Berühren eines Patienten die Hände zu waschen, da er fest daran glaubte, daß diese Dämpfe auch durch die Hände weitergegeben werden können. In der Bibliothek Seiner Heiligkeit befinden sich Abschriften von de Mand- villes diesbezüglichen Lehrbüchern, und wer möchte, kann sie lesen.«
Aber das ist ja auch meine Theorie ! dachte Alejandro erregt, als er erfuhr, daß andere Ärzte seine Überzeugung von der Bedeutung der Reinlichkeit teilten. Wieder meldete er sich ungebeten zu Wort.
»Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, daß eine mit Wein ausgewaschene Wunde schneller heilt. Irgendein Bestandteil des Weins scheint die Sepsis zu attackieren.«
»Vielleicht wird sie betrunken und findet ihren
Weg zur Wunde nicht mehr«, warf ein Mann ein und erregte damit allgemeines Gelächter.
Alejandro errötete, doch de Chauliac hob die Hand. Die Gruppe verstummte sofort. »Man soll nie über die Beobachtungen eines Kollegen lachen«, sagte er. »Auch die Weisesten von uns vermögen diese Pest nicht zu heilen. In unserer Unwissenheit sind wir alle gleich.« Er sah Alejandro direkt an. »Wir werden später unter vier Augen darüber sprechen.«
Alle Köpfe wandten sich dem jungen Juden zu, der seinem Lehrer nur zunickte und dann die Augen senkte. »Deshalb«, fuhr de Chauliac fort, »müßt Ihr den Hofastrologen, obwohl sie dieser Forderung nicht leicht nachkommen werden, einschärfen, Euren Patienten zu sagen, daß jeder Tag günstig für Bäder ist ...«
An diesem Abend wurde Alejandro von einem Gardisten des Papstes abgeholt und in de Chauliacs Privatgemach geführt. Er erstieg hinter dem Gardisten, den sein Panzer und seine Waffen sichtlich behinderten, mehrere Treppen.
Zögernd betrat er den Vorraum. De Chauliac winkte ihn hinein.
»Kommt, kommt«, sagte er, »und setzt Euch.« Er wies auf eine weich gepolsterte chaise longue und sagte: »Macht es Euch bequem.«
Schüchtern nahm Alejandro auf der dicken Polsterung Platz. Der Pädagoge und Lehrmeister war verschwunden, und an seine Stelle war ein liebenswürdiger und angenehmer Gastgeber getreten. Die Verwandlung erschien ihm verblüffend. »Unter vier Augen seid Ihr ein anderer Mensch, Doktor de Chauliac«, sagte er vorsichtig.
De Chauliac bot ihm ein Glas Wein aus einem schweren Silberpokal an, das sein Gast akzeptierte. »Und wieso findet Ihr mich verändert?« fragte er, eine Augenbraue neugierig hochgezogen.
Nach einem herzhaften Schluck Wein sagte Alejandro: »Ihr seid ein strenger Lehrmeister, und Eure Gegenwart ist ziemlich .« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Gebieterisch.«
De Chauliac lachte zynisch. »Man muß den Eindruck erwecken, alles zu beherrschen, wenn man Narren unterrichtet«, sagte er, »sonst lernen sie nichts, und man vergeudet seine Anstrengungen. Ich hasse es, kostbares Wissen an Leute weiterzugeben, die seinen Wert nicht begreifen.«
Alejandros Miene verriet, daß er verletzt war. »Herr, ich ...«, begann er protestierend.
»Euch habe ich nicht gemeint«, sagte de Chauliac rasch, »denn Ihr würdet heute abend nicht hier sein, wenn ich eine solche Meinung von Euch hätte. Ich
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