Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
afrikanischen Virus der Ebola-Familie war in einer zerbrochenen Ampulle nach Marburg gekommen und hatte die inneren Organe mehrerer Labormitarbeiter binnen weniger Tage in eine suppige Masse verwandelt. Trotz ihrer Maske hielt Janie den Atem an, als sie an diesem Behälter vorbeiging.
Bruce war bereits an der Luftschleuse. Seine steifen, behandschuhten Finger lösten ungelenk eine Schicht nach der anderen aus Klammern und Filtern, und Janie dachte bei sich, daß seine Verbrennung dabei entsetzlich schmerzen mußte. Jede Schicht von Klammern war so entworfen, daß sie einen Eindringling aufhielt, der von außen hereinwollte. Bald waren sie von einem Stapel aus Schirmen und Filtern umgeben: Bruce griff in den Schacht und zog den letzten, dicken Filter heraus. Mit den Füßen zuerst kroch er in den Schacht und trat die Außenverkleidung heraus, als er sie erreicht hatte. Er hoffte, daß niemand in der Nähe war, der ihn beobachten konnte. Doch als er in die Dunkelheit hinausschlüpfte, fand er sich hinter einer Gruppe von Büschen wieder, die von niemandem einzusehen war. Er drehte sich um und half Janie, sich ins Freie zu zwängen.
»Zieh das Zeug aus und steck es in den Schacht«, sagte Bruce zu Janie. »Faß das Gitter nicht an. Wir müssen es draußen lassen.«
Bruce konnte hören, wie Janies Zähne klapperten. Er legte die Arme um sie. »Komm, laß dich wärmen«, sagte er. »Noch ein paar Minuten da drinnen, und wir wären wirklich in großen Schwierigkeiten gewesen.«
»Wir sind in großen Schwierigkeiten«, sagte Janie. »Wie zum Teufel sind wir da bloß reingeraten?«
Sie verweilten ein paar Minuten im Gebüsch und klapperten mit den Zähnen, während sie versuchten, sich aufzuwärmen. Als sie sich etwas weniger mühsam bewegen konnten, stand Bruce vorsichtig auf und sah sich um.
»Wir sind im seitlichen Garten«, sagte er. »Sieht verlassen aus.« Janie stand auf, und sie klopften ihre Kleider ab; sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, um sie etwas zu ordnen, und tat dasselbe bei Bruce. Dann verließen sie die Sicherheit des Gartens und gingen hinaus auf die Straße, um zu sehen, was sich da abspielte.
Sie erreichten die hinteren Reihen der Menschenmenge und versuchten, mit ihr zu verschmelzen. Draußen vor dem Haupteingang des Instituts hatte sich hinter einer Absperrung aus grünem Band eine immer größer werdende Schar von Neugierigen angesammelt, und Janie und Bruce schoben sich möglichst behutsam vor, um niemanden anzurempeln. Als sie eine gute Sicht hatten, blieben sie stehen und beobachteten aus sicherer Entfernung, wie die Biocops das Gebäude betraten und verließen. Es dauerte nicht lange, bis sie den langen, schmalen Behälter erspähten, der vermutlich den Leichnam des Wachmannes enthielt; er wurde von vier gar nicht fröhlich wirkenden Riesen die Vordertreppe heruntergetragen.
»Sie gehen kein Risiko ein«, flüsterte Bruce in Janies Ohr. »Sie haben ihn luftdicht versiegelt. Später werden sie ihn testen und dann verbrennen.«
Janies Augen füllten sich mit Tränen; sie weinte lautlos, während sie zusah, wie ein anderer Biocop einen kleineren Behälter allein die Vordertreppe heruntertrug. Großer Gott, die Hand, dachte sie bei sich.
Bruce mußte ihre Gedanken gelesen haben. »Sie werden etwa eine halbe Stunde brauchen, um festzustellen, wem sie gehört. Wir verschwinden besser, ehe mich jemand erkennt.«
Ein paar Blocks weiter fanden sie einen Lebensmittelladen; drinnen gab es eine Telefonzelle. Bruce wählte die Notrufnummer von Biopol und meldete anonym den unversiegelten Luftschacht, der aus dem Labor führte. Caroline oder das Pestbakterium erwähnte er gar nicht; ihre Situation war inzwischen zu kompliziert. Trotz der hochmodernen Technologie von Biopol wußte er, daß sie in sicherer Entfernung sein würden, bis die Biocops ihre Schutzmasken fanden und ihren Weg bis zur Telefonzelle verfolgten, also tätigte er den Anruf ohne Bedenken. Doch als er Janies besorgten Blick sah, sagte er: »Der Apparat wird von zu vielen Leuten benutzt, als daß sie beweisfähige Spuren sichern könnten. Man wird nicht auf uns kommen.«
Keiner von ihnen sprach darüber, was sie vielleicht getan hätten, wenn sie aufgrund der Meldung hätten identifiziert werden können. Als sie hinaus in die Dunkelheit Londons schlüpften, fragte Bruce sich, ob er imstande gewesen wäre, sich dem Wohl der Allgemeinheit zu opfern. Er wußte es nicht. Und er wollte es nicht wissen.
Lieutenant Michael
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