Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Rosow von der Londoner Abteilung der International Biological Police stand in der Dekontaminierungskammer und ließ die Sterilisationsflüssigkeit über die Oberfläche seines grünen Anzuges rinnen. In dunkelblauen Strömen floß sie durch die Falten und Vertiefungen des glatten Plastikoveralls. Sie erinnerte ihn an das Frostschutzmittel, das sie für ihre Wagen benutzt hatten, bevor die solare Temperaturregelung eingeführt wurde.
Das war ein Teil, den er immer gehaßt hatte, dieser langsame, langwierige Prozeß nach dem Verlassen eines kontaminierten Bereichs vor Wiedereintritt in die sterile Welt. Als endlich das Signal aufleuchtete, das verkündete, die Schleuse werde gleich geöffnet, seufzte er erleichtert und wandte sich der Tür zu. Er wartete auf das zischende Geräusch, mit dem die Pumpe die Luft aus der Kam- mer in das Filtersystem saugte. Dann trat er hinaus und blieb über dem Abtropfbecken stehen, während zwei Techniker, die Handschuhe, Masken und Stiefel trugen, begannen, ihm seinen Anzug auszuziehen.
Als endlich alle Schichten abgeschält waren, stand er nackt da und schloß die Augen, um die letzte Dekontaminierungsdusche über sich ergehen zu lassen. Dabei richteten die Techniker ihre Sprühdüsen mit der warmen Flüssigkeit von Hand auf alle Falten und Vertiefungen seines Körpers; dieser Teil der Dekontaminierung war mehr als nur ein bißchen erotisch, und zu seiner großen Verlegenheit hatte er darauf schon des öfteren reagiert.
Er trocknete sich ab und zog wieder »normale« Kleidung an. Dann ging er geradewegs ins Untersuchungslabor. Seine schnelle Gangart verriet, wie aufgeregt er war; sosehr er die langwierige Sterilisierungsprozedur auch haßte, das, was jetzt kam, liebte er, und es entschädigte ihn reichlich für das unangenehme Bad in Frostschutzmittel.
Er hatte die Hand bereits gescannt, um die DNS zu identifizieren. Drei Ergebnisse waren verzeichnet - das erste betraf den Eigentümer der Hand, einen gewissen Dr. Theodore Cummings, Direktor des Labors, in dem sie gefunden worden war; der Mann wurde offenbar vermißt und war, wenn der Zustand der Hand auf das Gesamtbild schließen ließ, vermutlich tot. Das zweite Ergebnis war ein Enterobakterium in ausreichender Menge, um vom Scanner als »Lebewesen« erkannt zu werden, das er noch nicht identifiziert hatte. Das dritte Ergebnis betraf eine unbekannte weibliche Person, die offenbar nicht geprintet worden war, weil sich nichts gezeigt hatte, als er ihre DNS mit allen bekannten Proben auf der Welt verglich. Rosow wußte, daß ein solches Resultat eines von drei Dingen bedeuten konnte. Die Frau konnte sehr alt sein, alt genug, um vom Gesetz zur Erfassung der Identität nicht mehr betroffen gewesen zu sein, doch daran zweifelte er wegen des guten Zustands der Zellen im Identifizierungsmuster. Sie konnte auch eine Marginale sein, der es irgendwie gelungen war, dem Printen zu entgehen. Diese Möglichkeit konnte er nicht ausschließen und mußte sie daher offenlassen. Die dritte Möglichkeit war, daß sie ungeprintete Bürgerin eines anderen Staates war, die sich mit einem begrenzten Visum in Großbritannien aufhielt und sich nicht printen lassen mußte, wenn sie nicht länger als vier Wochen im Land blieb.
Er setzte sich in den Drehsessel vor dem Computer und machte es sich bequem. Er rief das Programm zur Interpretation von DNS auf und starrte neugierig auf den Bildschirm, während er eine Reihe kurzer Befehle eingab. Eine sanfte weibliche Stimme, die sexy klang, sprach beruhigend zu ihm.
»Die verlangte Operation wird in sechs Minuten durchgeführt sein. Bitte warten Sie. Möchten Sie während der Verarbeitungszeit etwas Musik hören?«
Rosow antwortete: »Ja.«
Die Stimme sagte: »Bitte wählen Sie aus der Liste auf dem Bildschirm. Sprechen Sie Ihren Wunsch langsam und deutlich aus.«
Er sah die Liste rasch durch und verglich die Länge der Musikstücke mit der erwarteten Dauer der Datenverarbeitung; dann gab er ein: »Brahms, Deutsches Requiem, Fünfter Satz.«
Der Computer antwortete: »Eine ausgezeichnete Wahl. Einen Augenblick, bitte.«
Als die große Stimme seines Lieblingssoprans den Chor übertönte, beobachtete er gespannt den Bildschirm. Bit um Bit formte sich das Bild; er war wie in Trance und konnte den Blick nicht abwenden. Langsam entstand vor seinen Augen die Abbildung einer Frau; während der ganze genetische Code der Zellen, die man unter den Fingernägeln von Ted Cummings’ abgetrennter Hand gefunden hatte,
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