Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
und zeigte auf die offene Tür. Wie ein Falter fühlte sie sich instinktiv von dem Licht angezogen und ging ohne Bruce durch den Raum. Er folgte ihr sofort, und dann standen sie beide in der Tür.
Janie gab einen überraschten Laut von sich. Auf dem Bett, mit glänzend rotem Haar, in frischen, mit roten Bögen bestickten Leintüchern, lag der reglose Körper von Caroline Porter.
Janie wimmerte auf und hielt sich eine Hand vor den Mund. »O mein Gott, Bruce«, sagte sie und klammerte sich an ihm fest, »wir sind zu spät gekommen.«
Bruce löste sich sanft aus ihrem Griff und trat ohne sie an das Bett. Die Frau, die dort lag, war kaum als Caroline zu erkennen. Ihre Haut war kreidebleich, aber ihr Hals war von einem gräßlichen Halsband aus eitergefüllten, schwärzlichen Schwellungen umgeben. Ihre Lippen waren rissig und bluteten, und ihre Finger, ordentlich um einen Strauß getrockneter Kräuter gefaltet, waren fast purpurn.
Schüchtern kam Janie näher und trat an seine Seite. Als sie sah, wie sehr Caroline entstellt war, begann sie wieder zu weinen. Sie streckte die Arme aus und wollte Carolines reglose Gestalt umarmen, aber Bruce hielt sie zurück.
Was Janie mit ihren Augen sah, war Caroline, aber innerlich sah sie die Leichen ihres Kindes und ihres Mannes vor sich. Sie sind zu schnell gestorben; ich habe keinen von beiden berühren können ... Ihre persönliche Tragödie überwältigte sie mit vernichtender Gewalt, und sie fing an, sich gegen Bruces Griff zu wehren, wollte das Bett erreichen. »Bitte, laß mich; ich möchte sie bloß einmal anfassen«, bat sie.
Bruce hielt sie fester, war aber überrascht, wie stark ihr Widerstand war. »Janie, nein«, sagte er. »Das kannst du nicht; wir sind dem allen schon zu nahe gekommen.« Fast gewaltsam hielt er sie zurück. »Du darfst das nicht riskieren.«
Endlich gab sie nach und ließ sich festhalten; still standen sie im Kerzenlicht und klammerten sich verzweifelt aneinander. Janies alptraumhafte Erinnerung an die Ausbrüche durchflutete sie; sie wehrte sich tapfer dagegen, überlebte das Entsetzen wie damals, indem sie eine Sekunde nach der anderen mit einer Kraft durchstand, die sie nicht als ihre eigene erkannte.
Nichts war zu hören außer Janies leisem Weinen, bis aus der Dunkelheit ein kaum hörbares Stöhnen ertönte. Rasch sah Bruce sich um, sicher, etwas gehört zu haben, einen menschlichen Laut, aber er sah niemanden. Er lauschte noch einen Augenblick gespannt und hörte den Laut wieder; diesmal achtete er auf die Richtung, aus der er kam. Er ließ Janie los und ging zum Fußende des Bettes. Als er den Blick nach unten richtete, erblickte er einen alten Mann, der sich hin und her wiegte und dabei einen reglosen Hund in den Armen hielt. Er berührte Janies Arm und sagte drängend: »Schau! Am Fußende!«
Der Schock brachte Janie wieder in die Gegenwart; sie wischte sich die heißen Tränen aus den Augen und eilte an Sarins Seite.
Sie kauerte sich neben ihm nieder und berührte sanft seine Schulter.
»Mr. Sarin?« sagte sie. Er wiegte sich weiter, ignorierte Janies Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Mr. Sarin!« sagte sie lauter. »Bitte, Mr. Sarin!«
Er sah sie ausdruckslos, verwirrt und benommen an, doch bald erschien ein schwaches, erkennendes Lächeln auf seinem Gesicht. »Oh, hallo, Miss«, sagte er langsam. Er umfaßte zärtlich den Kopf des Hundes und hob ihn ein wenig an, als wolle er ihr das Tier darbieten. »Schauen Sie. Mein Hund ist gestorben.«
Zögernd streckte sie die Hand aus und berührte den Kopf des Hundes, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. Endlich murmelte sie: »Es tut mir schrecklich leid.«
»Das ist schwer, der Tod, wenn man nicht damit rechnet...«
Seine Worte lösten bei Janie eine neue Flut von Tränen aus. »Ich weiß«, schluchzte sie. »Meine Freundin dort .«
Sarin sah sie fragend und noch immer benommen an: »Aber sie ist nicht tot ...«, sagte er.
25
Isabellas Damen schwatzten fröhlich, während das Gepäck ausgepackt wurde; ihr Leben war seit dem Beginn der Pest öde und farblos gewesen, und die neuen, bunten Kleider stellten das lang ersehnte Ende ihres bedrückenden Einflusses dar. Am folgenden Tag erwarteten sie faszinierende Turniere und tapfere Ritter, und die Hofdamen konnten ihre Erregung kaum bezähmen. Nur Adele hatte sich nicht den Annehmlichkeiten überlassen, in denen ihre Gefährtinnen jetzt schwelgten, denn ihre Gedanken waren darauf konzentriert, wie sie sich aus ihrer
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