Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
unterdrückt werden. Sie suchen sich an denen zu rächen, die sich nicht wehren können. Es ist meine Pflicht, nach Avignon zu reisen und mich dort in der Hoffnung niederzulassen, meine Familie willkommen heißen zu können.« Doch er wußte, daß er Avignon lange vor seinen alten Eltern erreichen würde, selbst wenn er den langsamsten Weg nahm. Sie würden unterwegs in jeder Stadt rasten müssen. Im günstigsten Fall brauchten sie vielleicht ein Jahr, um in Avignon anzukommen.
»Vergeßt nicht, junger Mann, daß Ihr nicht mehr wie ein Jude ausseht, und verzeiht, wenn ich sage: Gott sei Dank!«
Alejandro fragte sich, ob Hernandez vielleicht der Ausschweifungen der Städte schon müde war und sich nach frischer Bergluft und kühlen Nächten sehnte. Vielleicht wollte er auch gern mit ein paar baskischen Marodeuren kämpfen, damit seine Fähigkeiten nicht einrosteten. Doch Alejandro wollte das nicht.
»Nun, Jude, was sagt Ihr?«
»Am Meer entlang, Señor! Ich vertraue darauf, daß ich diese fremden Gebräuche sehen kann, ohne ihnen anheimzufallen. Und vielleicht gibt es in diesen Städten auch ein paar neue Methoden der Chirurgie.«
»Aber ja, sie schneiden Euch im Nu die Börse heraus!«
Alejandro lachte, klopfte aber trotzdem zur Sicherheit auf seine Satteltasche, worauf Hernandez sagte: »Eure erste Anschaffung mit diesem Vermögen wird geeignetere Kleidung für die Reise sein. Wir werden den Schneider anweisen, mehrere kleine Taschen mit Knöpfen daran anzufertigen, auf die Ihr Eure Münzen verteilt; dann könnt Ihr niemals alles auf einmal verlieren.«
Alejandro hielt das für einen weisen Rat. Er war jetzt ausgeruht, die Sonne stand etwas tiefer, wodurch das Reisen angenehmer wurde, und eine gewisse Unruhe erfaßte ihn. Als Hernandez das sah, schob er sein kleines Schnitzmesser wieder in die Scheide und packte die Schlange in eine seiner Taschen. Nach einem letzten Trunk Wasser schwang er sich auf sein Pferd, und sein Schützling tat es ihm nach. Sie ritten wieder auf den Weg und wandten sich in raschem Tempo nach Nordosten.
Sie kamen stetig voran, immer nordostwärts in Richtung Küste. Die Küstenstraße war jetzt noch einen Tagesritt entfernt, und mit jeder Stunde, die verging, hatten sie mehr Berührung mit der Zivilisation. Als sie sich dem Meer näherten, wurde die Luft kühler und reiner und war nicht mehr so staubig wie in der heißen Landschaft von Aragon; die Vegetation wurde üppiger und das Reisen angenehmer, weil es mehr Schatten gab. Sie hielten an, wann immer das nötig war, und holten sich frisches Wasser, wo es ging. Alejandro trank an jeder Quelle und jedem Bach, durstig wie ein tollwütiger Hund.
Seine Wunde hatte glücklicherweise nicht geeitert, und nun, da sie heilte, war sie nicht mehr schmerzhaft, sondern nur noch lästig. Die Haut auf seiner Brust war etwas hart geworden, obwohl er versucht hatte, sie nach Möglichkeit weich zu halten.
Doch er konnte einfach nicht verhindern, daß sich eine große, häßliche Narbe bildete, die ihn für den Rest seines Lebens begleiten würde. Er wußte, er würde sich dieser unschönen Entstellung schämen, sobald er wieder mit anderen Menschen als Hernandez zusammenkam; dieser versuchte höflich, den häßlichen Schorf zu übersehen. Andererseits dankte Alejandro seinem Schicksal dafür, daß er die Narbe auf der Brust hatte und nicht im Gesicht, wie es zweifellos die Absicht derer gewesen war, die ihn gebrandmarkt hatten. Seine Brust konnte er unter der Kleidung verbergen, sein Gesicht nicht.
Als die Ablenkungen am Wegesrand zunahmen, richtete Hernandez sich etwas steiler im Sattel auf und schenkte dem, was ringsum zu sehen und zu hören war, mehr Aufmerksamkeit. »Es ist lange her, daß ich in einer Stadt war, in der die cantinas einen Besuch wert waren!« sagte er zu Alejandro. Er wies auf einige interessante Orte, an denen sie vorbeiritten. »Das ist verheißungsvoll, Jude! Vielleicht finden wir hier etwas Anständiges zu essen!«
Als ihre Schatten in der Sonne des Spätnachmittags nach Osten hin länger wurden, näherten sie sich der kleinen Stadt Gerona. Hernandez amüsierte sich über die Faszination, mit der sein unerfahrener Gefährte das geschäftige abendliche Treiben der Leute betrachtete. Die meisten waren harmlos, doch er wußte, es gab auch solche darunter, die ihnen mit der gleichen Leichtigkeit lächelnd die Börsen abnehmen würden, mit der sie lächelnd grüßten. »Ich glaube, Ihr wärt eine leichte Beute für die, die auf
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