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Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Titel: Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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genommen hat? Er dachte an die dramatischen Ereignisse in seinem einst so beschützten Leben: Gebrandmarkt, vielleicht für immer von seiner Familie getrennt und gezwungen, aus der Stadt zu fliehen, in der er geboren und aufgewachsen war, war er nicht mehr derselbe Mensch wie noch vor ein paar Tagen.
    Am meisten aber belastete ihn, daß plötzlich eine Seite seines Selbst aufgetaucht war, von der er nie gewußt hatte, daß er sie besaß. Heute habe ich einen Mann getötet, dachte er reumütig, ohne das geringste Zögern. Es kam ihm merkwürdig vor, daß er keine Reue über das empfand, was er dem Bischof angetan hatte, und er fragte sich, ob es vielleicht Wahnsinn war, was ihn daran hinderte, entsetzt vor seiner eigenen Tat zurückzuschrecken. Doch im innersten Herzen wußte er, daß es nicht daran lag, denn er hatte nur schlichte Gerechtigkeit geübt; lehrten die Alten denn nicht, Auge um Auge, Zahn für Zahn? Alejandro bezweifelte, daß der Bischof jemals für seine unheilvolle Behandlung der Familie Canches bestraft worden wäre, wie die Familie Canches zu Unrecht dafür bestraft worden war, daß sie ihm viele Jahre lang treu gedient hatte. Auf der Stelle vergab er sich, daß er sich zum Richter und Henker dieses Mannes gemacht hatte. Trotzdem war er verwirrt und konnte nicht einschlafen. Er starrte zu den Sternen empor und berührte leicht seine verkrustete Wunde, erlebte noch einmal den Schock, mit dem er sie erlitten hatte, und die Scham über seine Hilflosigkeit. Dann erinnerte er sich an sein Gold; er stand von seiner Decke auf und nahm es aus dem kleinen Stapel seiner Habseligkeiten in der Nähe. Er legte sich die Satteltasche unter den Kopf und benutzte sie als hartes Kissen.
    Er hatte geglaubt, Hernandez schliefe, doch der sagte auf einmal: »Daran habt Ihr gut getan. Ich sehe, Vorsicht ist eine Fertigkeit, die ich Euch nicht lehren muß. Schlaft gut, Jude.«
    »Ihr auch, Spanier«, sagte Alejandro. Also weiß er davon , dachte er und entspannte sich in dem Wissen, daß sein Begleiter ehrenwert genug war, einer solchen Versuchung zu widerstehen. Er hat mich nicht sterbend und mittellos am Straßenrand liegenlassen , um als reicher Mann davonzureiten .
    Mit diesem Schatz war ihm die reibungslose Niederlassung in Avignon garantiert; er konnte sofort eine Praxis mit gut ausgestattetem Operationsraum und bezahlten Helfern eröffnen und sich auch Dienstboten leisten, um einen Haushalt einzurichten und zu führen. Wenn sein Vater und seine Mutter die Reise nach Avignon durch irgendein Wunder überleben sollten, würde er sie im bequemen Haus eines prominenten Arztes willkommen heißen. Seine Träume spülten die Schmerzen der letzten paar Tage weg, und mit Phantasien über eine schöne, angenehme Zukunft schlief er ein.
    Kurz vor der Morgendämmerung schüttelte Hernandez ihn sanft. »Ich würde meine Tätigkeit für das Haus Canchez gern noch in diesem Jahr beenden. Bei Eurer Schwerfälligkeit und Faulheit dauert sie viel zu lange! Am Ende arbeite ich für Pfennige am Tag, wenn wir weiter so langsam vorankommen«, grollte der lockige Spanier.
    Alejandro reckte seine Glieder, wobei er darauf achtete, die verheilende Haut auf seiner runden
    Wunde nicht zu spannen, und erhob sich steif. Mit Hernandez’ Hilfe zog er sein Hemd aus und prüfte, ob die Wunde eiterte. Sie tat es nicht. Er wusch sie vorsichtig mit dem kalten Quellwasser und versuchte, die neuen Krusten nicht zu beschädigen. Solange sie noch naß und ein wenig elastisch war, beträufelte er die Wunde mit Nelkenöl. Er ging sparsam mit seinem geringen Vorrat um. Bei den ersten Tropfen zuckte er zusammen, denn sie verursachten einen stechenden Schmerz, doch zum Glück folgte darauf ein taubes Gefühl.
    Nach einem leichten Frühstück ritten sie ohne Zwischenfall weiter, bis die Sonne hoch am Himmel stand, und begannen dann, nach einem geeigneten Ort zu suchen, an dem sie rasten und Schutz vor der Mittagssonne finden konnten. Sie erreichten ein Gehölz mit kümmerlichen Bäumen, zu klein, um auf eine Quelle schließen zu lassen, aber hoch genug, um ihnen und ihren Pferden Schutz vor der schlimmsten Tageshitze zu gewähren. Hernandez zauberte etwas Dörrfleisch aus seinem Gepäck hervor, das unangenehm schmeckte, aber den Hunger stillte, und danach tranken sie Wasser aus ihren Flaschen.
    Während sie ruhten, schnitzte der Spanier müßig an einem kleinen, trockenen Ast herum. Alejandro sah aufmerksam zu, als der Ast Form annahm, und staunte, wie schnell er

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