Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Studium der Unterschiede zwischen ihnen, eine Bestätigung ihrer persönlichen Überzeugung, daß die Eßgewohnheiten das waren, woran man jeden Mann und jede Frau messen konnte. Sie fragte sich, was dieser Augenblick für ihn bedeutete.
Als antworte er auf ihre unausgesprochene Frage, sagte er: »Also, das ist mal ein richtiges Mittagessen.«
Sie lachte laut auf.
Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an und sagte: »Es ist so schön, Sie lachen zu hören. Ich dachte schon, Sie hätten vergessen, wie es geht. Was ist so lustig?«
Sie ignorierte diesen Köder und sagte: »Ach, nichts Besonderes, einfach das Leben. Wenn ich gewußt hätte, daß so ein netter Mann aus Ihnen wird, hätte ich Sie mehr beachtet, als Sie jünger waren.«
»Äh ... na ja, danke.«
»Bitte, gern geschehen.«
Obwohl er sehr charmant sein konnte, lag unter Ted Cummings glatter Oberfläche ein aufreizend spartanisches Wesen, das immer pünktlich zur Arbeit kam, nie krank war, nie äußerlich zerknittert, und bei dem jedes Haar am richtigen Platz saß. Als er am Freitag morgen mit einem stechenden Schmerz in der rechten Schläfe aufwachte, war er völlig überrascht; er hatte nicht einmal Aspirin im Haus, weder legal verschriebenes noch anderes. Er hatte seit Jahren keines mehr gebraucht.
Beinahe hätte er verschlafen, und als er es schließlich schaffte, sich aus dem Bett zu quälen, ging das nur langsam vonstatten. Steif hievte er ein Bein nach dem anderen heraus und ließ es auf den Boden plumpsen. Seine nackten Füße waren so schwer, als trage er Schuhe mit Stahlkappen, und ein paar benommene Momente lang fragte er sich, ob die Schwerkraft über Nacht irgendwie intensiver geworden war, denn sein ganzer Körper fühlte sich unerträglich bleiern an. Sein Haar war von den Kissen zerzaust und stand in alle möglichen Richtungen vom Kopf ab; er mußte es ziemlich gewaltsam zähmen, ehe es halbwegs präsentabel aussah.
Zum ersten Mal in seiner von Ritualen bestimmten Amtszeit im Institut kam er später ins Büro als seine Sekretärin. Nachdem er seine E-Mails durchgesehen hatte, stellte er die Lautsprecher seines Computers ab, denn schon nach wenigen Minuten konnte er dessen Stimme und Signaltöne kaum noch ertragen. Aus dem gleichen Grund schaltete er auch seinen Piepser aus.
Er ging bei einem der medizinischen Büros des Instituts vorbei und verlangte von der Assistentin des Arztes zwei Aspirintabletten. Diese machte sich prompt über ihn lustig.
»Am besten suchen Sie Ihren freundlichen Com- pudoc auf«, sagte sie grinsend, ein Vorschlag, den Ted sofort zurückwies. Trotz der Rolle des Instituts bei der Entwicklung der Compudocs und bei der Überwachung ihrer Tätigkeit haßte Ted sie und vermied sie bis auf die obligatorische monatliche Untersuchung. Er hatte genug Leute gesehen, die von diesen verdammten Maschinen am rechten Handgelenk festgehalten wurden und heftig gegen die Zwangshaft protestierten, die stets folgte, wenn die Maschine bei einer Routineüberprüfung irgendeine bösartige Mikrobe entdeckte.
Inzwischen war sein Unwohlsein so groß, daß er das Aspirin trocken schluckte und das saure Brennen spürte, mit dem die Tabletten durch seine rauhe Kehle glitten. Obwohl er sich immer schlechter fühlte, schaffte er es, die erste Hälfte seiner Tagesarbeit erfolgreich hinter sich zu bringen, wenn er auch nicht hätte behaupten können, sich groß daran zu erinnern; später diktierte er Aktenvermerke über die Aktivitäten, an die er sich erinnern konnte; darunter war auch ein erster Blick auf die Liste der Bewerber um Franks Stellung. Er hatte gerade seine Aktenmappe gepackt und wollte nach Hause gehen und sich ins Bett legen, als ihm der Stoffkreis wieder einfiel. Er wußte irgendwie noch, daß er jemanden anrufen mußte, aber an mehr erinnerte er sich nicht; er kramte in seinem Gedächtnis, fand aber nicht die notwendige Information. Wen muß ich anrufen? Was muß ich sagen? Ich muß kränker sein, als mir bewußt ist, wenn mein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt ist, dachte er bei sich, und zum ersten Mal kam ihm die Möglichkeit in den Sinn, daß das, was ihm zu schaffen machte, vielleicht mehr war als eine schlichte Erkältung. Vielleicht ist es eine Sommerinfluenza. Er wollte sie aggressiv mit Bettruhe, Flüssigkeiten und mehr Aspirin bekämpfen, wenn er sich welches beschaffen konnte (wenn Bruce hier wäre, könnte er einfach ein Rezept ausstellen!), und er war sicher, nach einem Tag wieder arbeiten zu können und
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