Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
sich viel wohler zu fühlen, ohne daß jemand etwas merkte.
Er schob die Gedanken an den Anruf beiseite und konzentrierte sich auf den Stoffkreis. Das Labor war noch immer der naheliegendste Ort, um danach zu suchen, und so ging er hin. Er hoffte, Erfolg zu haben, denn während der Tag voranschritt und sein Zustand sich verschlimmerte, wurde ihm klar, daß er sich nicht allzusehr anstrengen durfte, bevor er sich wieder bei Kräften fühlte. Er legte die Hand flach auf den grauen Schirm vor der Haupttür des Labors und hörte das Klicken, mit dem das Schloß sich öffnete. Er ging hinein und hörte sofort ein anderes Klicken, das Geräusch von Fingern auf der Tastatur des Computers; Caroline saß an einem der Geräte und war in ihre Arbeit vertieft.
Da Ted auch vergessen hatte, daß sie an diesem Tag im Labor arbeiten würde, überraschte ihn ihre unerwartete Anwesenheit. Er hatte sie nur zweimal gesehen, erkannte sie aber sofort an dem roten Haar, das ihr in weichen Wellen auf den Rücken fiel. Er hatte den Impuls, die Hand auszustrecken und in das Haar zu fassen, solange sie ihm noch den Rücken zuwandte, um es an seiner Wange zu reiben. Er fragte sich, ob sie wohl schockiert wäre, wenn er das täte.
Als eine Hand schon nach der Lockenfülle greifen wollte, nahm er sich zusammen und zog sie rasch zurück, tief beschämt über die untypische Handlung, die er beinahe begangen hätte. Normalerweise hätte er eher die Mähne eines Löwen gestreichelt als unaufgefordert das Haar einer Frau zu berühren, und er war schockiert über sein eigenes Verhalten. Guter Gott, was ist bloß in mich gefahren , fragte er sich hektisch. Er fühlte sich schon unwohl, mit ihr zusammen in diesem Labor zu sein, ohne daß sie von seiner Anwesenheit wußte. Er machte sich mit einem diskreten Räuspern bemerkbar, vergaß dabei aber seine rauhe Kehle und zog eine Grimasse bei dem Schmerz, den das leise Geräusch ihm verursachte.
Caroline hörte ihn und drehte sich um. Ihr Anblick verschlug ihm fast den Atem, aber er konnte sich gerade noch beherrschen, ehe er sie kränkte; das war gewiß Caroline, aber wie anders sah sie aus! Nichts mehr von dem rosigen Schimmer auf ihren Wangen, den er gesehen hatte, als sie sich das letzte Mal trafen; ihre Haut war teigig und weiß, die Augen rot gerändert. Es schien ihr schwerzufallen, den Kopf zu drehen.
Caroline sah seinen schockierten Gesichtsausdruck und errötete vor Verlegenheit, ein starker Kontrast zu der kränklichen Blässe. Am Morgen hatte sie im Spiegel gesehen, daß sie aussah, als würde sie krank; wie Ted hatte sie auf den Beginn einer Erkältung getippt.
»Guten Tag, Caroline«, sagte Ted. »Wie geht’s denn heute?«
Sie hustete zweimal, ein harter, trockener Husten, den sie mit der Hand dämpfte. »Ehrlich gesagt, mir ging’s schon mal besser«, antwortete sie. »Anscheinend habe ich mir eine scheußliche Erkältung eingefangen.«
»Dann haben wir wohl dasselbe«, sagte er. »Eine Erkältung, die unbesiegte Geißel der modernen Medizin. Ich bin froh, daß ich nicht allein bin, aber ich bedaure, daß Sie meine Gefährtin im Elend sind.«
»Danke.« Sie lächelte schwach. »Ich glaube, das könnte sogar mehr sein als bloß eine Erkältung. Seit ich heute morgen aufgestanden bin, habe ich gräßliche Kopfschmerzen. Ich muß bloß noch ein paar Dateien kopieren, und dann gehe ich schnurstracks ins Hotel und ins Bett. Ich hoffe, ich kann das loswerden, ohne das Interesse der hiesigen Biocops zu erregen. Ich denke, wenn ich mich jetzt hinlege, merkt es keiner. Ich bin in aller Kürze aus dem Weg.« Sie wandte sich ab und schneuzte sich die Nase.
»Oh, Sie sind überhaupt nicht im Weg. Ich muß nur ein paar Sachen im Gefrierschrank suchen. Dann bin ich für heute auch fertig. Übrigens, haben Sie von unseren Freunden in Leeds gehört? Ob sie diese Bodenproben wohl gefunden haben?«
Das Wort Leeds ließ ihn wieder an den Anruf denken. Irgendein Zusammenhang bestand da, aber er kam nicht darauf. Heiße Frustration stieg in ihm auf, und er begann wütend zu werden. Er überhörte den ersten Teil von Carolines Antwort auf seine Frage und bekam nur das Ende mit.
»... heute abend, wenn sie sie loseisen können.«
Sie glaubte also, daß die beiden vielleicht am gleichen Abend noch zurückkommen würden. Ted wußte, es war höchst unwahrscheinlich, daß sie so bald wieder in London sein würden, weil die Mühlen der Bürokratie, insbesondere der britischen Wissenschaftsbürokratie, in
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