Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Manchmal, wenn ich mich darin bewege, kommen sie mir für mich allein viel zu groß vor. Aber ich habe gern Platz, und ich denke, ich werde ihn schließlich ausfüllen. Ich habe die Wohnung vor ein paar Jahren gekauft, unmittelbar vor dem ersten Ausbruch.«
»Wenn Sie ein Jahr gewartet hätten, hätten Sie sie wahrscheinlich viel billiger bekommen. In den Staaten fielen die Wohnungspreise in den Keller, als die Nachfrage geringer wurde.«
»Hier sind sie leicht gefallen, aber nicht so sehr, wie Sie vielleicht denken. Sie waren vorher ohnehin inflationär. Jeder akzeptiert irgendwie, daß er zuviel bezahlt. Jetzt sind die Preise eher angemessen. Aber ich bin nicht unglücklich. Ich mag die Wohnung.«
»Gibt es irgend etwas an Ihrem Leben, was Ihnen nicht gefällt?« fragte sie beinahe mißmutig. »Alles hört sich so perfekt an.«
Er dachte einen Moment lang über ihre Frage nach. »Manchmal gefällt mir das Alleinsein nicht, und gelegentlich bedaure ich, daß ich keine Kinder habe, vor allem an Feiertagen.« Er sah ihr direkt in die Augen. »Ich bin sicher, daß das für Sie schwere Zeiten sind.«
Sie seufzte. »Feiertage und Geburtstage. Und Jahrestage sind auch nicht gerade erfreulich. Solche Zeiten stehe ich nur schwer durch.«
»Was machen Sie dann gewöhnlich?«
»Ich versuche, so weit wie möglich von vertrauten Dingen und Orten entfernt zu sein«, sagte sie, »aber es ist schwer, nicht auf Erinnerungen zu stoßen. Sie scheinen überall zu sein. Wenn ich meine Ausbildung beendet habe, hoffe ich, ein bißchen mehr reisen zu können, innerhalb der Staaten, meine ich, weil das viel einfacher ist, als das Land zu verlassen. Wenn ich erst eine neue Stellung habe, sollte ich mir das einrichten können. Reisen macht es leichter, weil nichts vertraut ist.«
»Ist es hier einfacher?«
Sie überlegte einen Moment und sagte dann: »Ja, vielleicht. Im Augenblick geht’s mir ganz gut.«
»Das freut mich«, sagte er. »Ich hatte gehofft, daß Sie das sagen würden.« Er lächelte und drückte ihren Arm. Dann führte er sie durch die Tür des Restaurants.
Der Duft von Kardamom und Fenchel hieß sie willkommen, und im Hintergrund hörte man leise eine Sitar spielen, die die indische Atmosphäre angenehm betonte. Kunstvolle bunte Stickereien auf schwarzem Samt hingen an den Wänden, Szenen mit Ranis und Elefanten und Buddhas im vertrauten zweidimensionalen Stil des Orients.
Sie teilten sich eine halbe Flasche Rotwein, die sie erwärmte und entspannte; sie sprachen über ihr Leben und darüber, wie verschieden ihre Wege gewesen waren. Das Essen schmeckte so gut, wie es roch, und Janie war von ihrem eigenen Appetit überrascht. »So viel habe ich nicht in der gesamten Zeit gegessen, seit ich angekommen bin«, sagte sie, faltete ihre Serviette zusammen und legte sie auf den Tisch. »Jetzt bin ich voll bis zum Platzen.«
»Wir machen noch einen Spaziergang, wenn wir von hier weggehen«, sagte Bruce.
»Gute Idee.«
Sie nahmen einen anderen Weg, als sie gekommen waren, und befanden sich bald in einem Wohnviertel. Ihr fiel auf, daß es fast keine Geschäfte gab. Bruce führte sie, bog in eine Straße ein, dann in eine andere, und Janie hatte den Eindruck, daß sie zu einem bestimmten Ort gebracht wurde. Ihre Vermutung bestätigte sich, als Bruce vor einem weißen Stadthaus aus Ziegelsteinen mit hübschem Vorgarten stehenblieb.
»Hier ist es«, sagte er und zeigte auf das Haus. »Hier wohne ich.«
Janie betrachtete es argwöhnisch. »Es ist reizend«, sagte sie und fragte sich, ob er auf irgendein Signal wartete, daß sie hineingebeten werden wollte. Sie entschied, der Frage auszuweichen und fing an, sich die anderen Häuser anzusehen. »Das ist ein sehr hübsches Viertel.«
»Und ruhig«, sagte er. »Ein paar Hunde, aber sonst ist es sehr friedlich.«
In dem kurzen Schweigen, das folgte, ging Janie eine Liste von Selbstbeschuldigungen durch, die ihrem Therapeuten Tränen in die Augen getrieben hätten. Ich bin eine pubertierende Fünfundvierzig- jährige, dachte sie bei sich, die mit einem tollen Mann auf der Schwelle zu einer heißen Nacht steht. Ich könnte durch diese Tür gehen und vermutlich ein paar schöne Stunden haben, vielleicht ein bißchen Dampf ablassen. Oder ich könnte nicht durch diese Tür gehen.
Beide setzten im gleichen Moment zum Sprechen an. Janie sagte: »Wissen Sie, wie spät es ist ...« Bruce sagte im selben Augenblick: »Möchten Sie mit raufkommen . « Und dann sprachen sie wieder
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