Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
»Wie liebenswürdig von Euch, Mademoiselle«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Doch dasselbe möchte ich von mir behaupten.«
Ein Gebet, beinahe eine Anklage, ging ihm durch den Kopf, als er die Wärme von Philomènes Körper spürte.
Warum, allmächtiger Gott, hast Du mir gerade zu dieser Zeit einen Berg in den Weg gestellt, da ich einen anderen Berg erklimmen muss, wie es ebenfalls Dein Wille ist? Du hast mir diese gute Frau geschickt, und jetzt zwingst Du mich, sie zu verlassen.
Dein Wille geschehe. Aber vielleicht zeigst Du ein einziges Mal Mitleid mit diesem einsamen Juden und übst Nachsicht.
Und während er dieses Gebet zu seinem Gott sandte, ballte er im Geist die Faust.
Alejandros Stiefel waren so auf Hochglanz poliert, dass er sich darin spiegeln konnte. Die Kleidung, die er auf die Reise mitnehmen würde, war sauber und in einem Reisesack verstaut.
Guillaume schlief auf seinem Strohsack, als warte ein ganz gewöhnlicher Morgen auf ihn. Alejandro war bereit zum Aufbruch; nun blieb ihm nichts mehr zu tun, als die letzte Nacht in Paris tief und fest zu schlafen, um die bevorstehende Reise ausgeruht anzutreten. Dies schien jedoch mit seinem zerrissenen Herzen eine kaum zu bewältigende Aufgabe zu sein.
Die Arbeit, die er im Begriff war zurückzulassen, zog ihn in die Studierstube - ebenso wie die Frau, mit der zusammen er sich ihr gewidmet hatte. In der Hoffnung, Philomène anzutreffen, öffnete er die Tür, aber der Raum war leer. Auf dem Tisch lagen die Blätter, die sie vor Kurzem vervollständigt hatten, und sie zu betrachten erfüllte ihn mit einem Gefühl des Stolzes, das er nicht in Worte hätte kleiden können.
Möge es Gott gefallen, dass ich aufs Neue an diesen Seiten arbeiten darf.
Er vernahm leise Schritte hinter sich.
»Ich sage es noch einmal, Doktor, die Arbeit wird unter Eurer Abwesenheit leiden.«
Er drehte sich um und sah Philomène in der Tür stehen. Ihr Anblick raubte ihm schier den Atem. Das Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern ihres weißen Nachtgewandes. Die Flamme der Kerze in ihrer Hand tauchte ihr Gesicht in einen warmen Schimmer.
»Wie ich sehe, will der Schlaf auch zu Euch nicht kommen«, sagte er.
»Ich glaube, ich werde nicht eher wieder gut schlafen, bis Ihr sicher zurückgekehrt seid«, sagte sie. »Meine Gedanken gehen wild durcheinander … in der einen Minute regiert meine Vernunft und erinnert mich an unser Vorankommen mit dem Manuskript, und in der nächsten Minute überwältigen mich meine Gefühle. Ich will nicht, dass Ihr weggeht. Ich habe Euch doch gerade erst gefunden.« Sie sah ihm in die Augen. »Gibt es denn keine andere Möglichkeit, diese Aufgabe zu erfüllen?«
»Hätte es sie gegeben«, erwiderte er leise, »dann wäre meine Tochter jetzt hier. Aber bedenkt dies: Wenn diese Reise
nicht stattgefunden hätte, wären wir einander niemals begegnet.«
»Daran mag ich nicht denken. Es wäre ein Fehler Gottes gewesen.«
»Gott macht keine Fehler.«
Er ging zu dem Tisch, auf dem der Stapel Blätter lag. »Dies hier«, sagte er und deutete mit der Hand darauf, »entspringt Gottes Ratschluss. Er hat es mir erlaubt, auf dieser Erde einen Teil von mir zurückzulassen, der noch lange nachwirken wird, nachdem ich sie verlassen habe. Es ist ein Kind von de Chauliacs Geist, aber in vielerlei Hinsicht bin auch ich sein Kind. Ich bin ein viel besserer Arzt, als ich es wäre, hätte er sich meiner nicht angenommen. Wenn ich schon lange tot bin, wird in seinem Meisterwerk ein Teil von mir fortdauern.« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Es ist eitel, ich weiß, aber ich kann es nicht leugnen, dass ich den Wunsch hege, auf dieser Welt eine Spur zu hinterlassen, die denjenigen, die ihr folgen, den Weg weist.«
Sie trat zu ihm und sah ihn an. »Dies ist kein eitles Streben«, sagte sie. »Alle Menschen sollten diesen Wunsch verspüren. Dann wäre vieles auf dieser Welt besser.«
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Philomène: »Unser Gespräch wird mir fehlen.«
»Mir auch.«
»Ihr erzähltet mir von Eurem Tagebuch. Damit brachtet Ihr mich auf eine Idee. Ich werde ebenfalls eines führen, und wenn Ihr zurückkehrt, könnt Ihr daraus erfahren, was während Eurer Abwesenheit mein Herz bewegt hat.«
Er lächelte. »Ihr müsst auch täglich niederschreiben, wie Ihr mit Eurer Arbeit vorankommt, damit ich bei meiner Rückkehr Neid verspüre.«
Sie suchte nach den richtigen Worten und sagte schließlich: »Ihr spracht mit Guillaume
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