Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
erinnerte er sich an die Unterweisung im christlichen Glauben, die ihm ein verrückter Priester in England erteilt hatte, und daran, dass er fast laut aufgeheult hätte, als der Mann darauf bestand, Jesus sei von einer Jungfrau geboren worden.
Unmöglich. Daran konnte man einfach nicht glauben, und doch glaubten sie daran, mit Inbrunst - manche so sehr, dass sie ihr Leben der Verehrung dieser Jungfrau widmeten.
Aber er würde dem Knaben diese Geschichte nicht vorenthalten, ganz gleich, für wie unsinnig er sie hielt, da seine Mutter - zumindest von ihrer Abstammung her - Christin war, und obwohl sie auf ihren gemeinsamen Reisen ihre Religion nicht regelmäßig ausgeübt hatte, hatte sie diese Jungfrau Maria oft um Schutz angerufen oder ein rasches Gebet zu ihr geschickt. Aus Respekt hiervor erlaubte er Guillaume, ja förderte es sogar, dass er sich mit dem Leben Jesu vertraut machte.
»Seht nur, Grand-père, da sind Bilder!« De Chauliacs Bibel war wunderbar illustriert, mit farbenprächtigen Miniaturen und kunstvollen, in Gold geschriebenen Initialen. Es waren jedoch mehr die Bilder als die Worte, die Guillaume in ihren Bann zogen. Gemeinsam bestaunten sie die zarten Pinselstriche, die der Künstler auf das Pergament gesetzt hatte. »Ich fürchte, ich muss dich unterbrechen; es gibt andere wichtige Dinge, die wir besprechen müssen.«
»Ja, Grand-père.« Der Knabe schloss gehorsam das Buch, nachdem er zuvor die Seite mit einem Band markiert hatte.
Alejandro zog sich einen Stuhl heran und setzte sich vor Guillaume. Guillaume blickte mit großen Augen zu ihm auf, einen Ausdruck ernster Neugier auf dem Gesicht.
»Ich muss ohne dich eine Reise unternehmen, die mich aus Paris wegführt, an einen weit entfernten Ort. Ich werde eine Weile fort sein, vielleicht sogar Monate.«
Guillaume sah ihn ängstlich an. »Aber warum denn?«, fragte er mit dünner Stimme.
»Meine Reise hat mit deiner Mutter zu tun. Und nur ich allein kann sie unternehmen. Niemand anderes kann an meiner statt gehen.«
Der Knabe richtete sich auf. »Bringt Ihr sie mit, wenn Ihr zurückkommt?«
»Ich hoffe es. So Gott will.«
Das Gesicht des Knaben war Spiegel seiner inneren Aufgewühltheit, während er über das soeben Gehörte nachdachte. »Ich werde mit Euch gehen, Grand-père«, erklärte er dann entschlossen. »Ich werde Euch helfen.«
Alejandro war freudig überrascht. Er hatte befürchtet, der Knabe würde weinen und jammern oder sich auf andere Weise sträuben und es ihm schwermachen. Stattdessen bot er ihm sogar seine Hilfe an.
»Guillaume«, sagte Alejandro beeindruckt, »aus dir wird eines Tages ein wahrhaft guter Mann werden. Ein Edelmut wie der deine ist eine hervorragende Eigenschaft, und ich danke dir. Aber in diesem Fall muss ich dein Angebot ablehnen.«
Der hoffnungsvolle Ausdruck auf Guillaumes Gesicht wich Bekümmerung. Alejandro schloss ihn tröstend in die Arme. »Bevor ich aufbreche, muss ich dir einiges sagen, und du musst mir aufmerksam zuhören.«
Guillaume nickte ernst.
Wo sollte er anfangen? Ich habe in Spanien einen Mann getötet und musste fiehen, und ich landete in England, wo deine Mutter wie eine Sklavin gehalten wurde, und zwar von ihrer zänkischen älteren Schwester, die sie jetzt von Neuem gefangen
hält und sie an den unwürdigen Vasallen eines noch unwürdigeren Mannes verheiraten würde …
Nein, er musste es so sagen, dass es ihm keine Angst machte.
»Ich habe dir doch von England erzählt …«
»Ja, Grand-père, viele Male, dass es weit im Norden liegt und dass wir Krieg mit ihm führen …«
Wir, hatte Guillaume gesagt. Der Junge betrachtete sich als Franzose. Natürlich - sein Vater war Franzose gewesen, und seine Mutter kannte er nicht. Dennoch überraschte es den heimatlosen Juden, das zu hören.
»Nun ja, wir befinden uns im Krieg, und das schon seit geraumer Zeit, obwohl momentan eine Art Waffenruhe herrscht. England wird von einem König regiert, so wie wir. Sein Name ist Edward. Vor vielen Jahren diente ich ihm als Medicus.«
»Grand-père!«
»Ja, ich weiß, es scheint unmöglich, aber es ist wahr. Es war nicht meine Entscheidung. De Chauliac schickte mich dorthin, weil er dachte, ich könnte die englische Königsfamilie vor der Pest schützen.«
»Aber de Chauliac ist doch Euer Freund - warum will er, dass Ihr zu Eurem Feind geht?«
»Weil es wichtig war, dass die englische Königsfamilie während des großen Sterbens am Leben blieb, das sagte mir jedenfalls de Chauliac. Und zu
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