Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
dieser Zeit war unsere Freundschaft …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Sie war noch nicht so eng wie jetzt.«
»Habt ihr einander nicht gemocht?«
»Das trifft es nicht ganz - ich habe de Chauliac vom ersten Tag an für seinen Verstand und seine Wissbegier bewundert. Es war eher so, dass wir einander nicht getraut haben. Er wusste damals nicht so viel über mich wie jetzt und ich nicht über ihn. Es ist wohl so, dass mich de Chauliac eine Zeit lang für einen Schurken hielt. Aber im Laufe der Zeit lernten wir, einander zu achten, sogar zu schätzen. Und nun wird uns das Geschenk einer unverbrüchlichen Freundschaft zuteil.«
Guillaume dachte einen Moment lang über das nach, was er soeben gehört hatte, bevor er fragte: »Aber warum müsst Ihr wieder dorthin gehen?«
»Dazu komme ich gleich. König Edward hatte viele Kinder, die meisten davon mit seiner Königin. Aber wie das bei vielen Königen ist, zeugte er noch mit anderen Frauen Kinder.«
Guillaume kicherte, sagte jedoch nichts.
»Eines dieser Kinder ist deine Mutter.«
Der Knabe sprang von seinem Stuhl und kletterte auf Alejandros Schoß. »Meine Mutter ist die Tochter des englischen Königs?«
»Schhh! Nicht so laut. Du willst doch nicht, dass irgendjemand etwas von deinem Geheimnis erfährt! Aber ja, es stimmt. Sie ist jetzt eine erwachsene Frau, eine wunderbare Frau, aber als ich sie zu mir nahm, war sie noch ein kleines Mädchen. Ich habe sie stets ›Tochter‹ genannt, in Wahrheit ist sie jedoch die Tochter des Königs von England. Ich habe sie ihm weggenommen.«
»Dann ist er mein Grand-père, nicht Ihr.«
Alejandro hielt den Atem an, als er aus dem Mund des Kindes so unverblümt die Wahrheit vernahm. »Das ist richtig.«
Das Kind blickte ihn verstört an und sagte: »Dann habt Ihr mich meiner Mutter weggenommen.«
»Sie wollte, dass ich sie mitnehme, versteht sich«, beeilte sich Alejandro zu erklären, »um genau zu sein, hat sie mich angefleht, es zu tun. So wie sie mich angefleht hat, dich mitzunehmen, damit dich nicht die englische Königsfamilie nehmen kann.«
Er sah eine gewisse Erleichterung auf Guillaumes Gesicht, wenn das Kind auch noch nicht ganz beruhigt war. Alejandro wappnete sich gegen die Flut schwierig zu beantwortender Fragen, die zweifellos gleich folgen würden. Er war überrascht, als stattdessen nur eine einfache Feststellung kam.
»Da muss sich König Edward sehr geärgert haben, als Ihr mit meiner Mutter fort seid.«
Er rief sich die Folge schrecklicher Ereignisse in Erinnerung. Mit Ärger war Edwards Reaktion auf ihre Flucht nur unzulänglich beschrieben, auch wenn dies den sorgfältig gewählten Worten in dem Brief an de Chauliac nicht zu entnehmen war. Eines Tages würde Alejandro Guillaume von den beschwerlichen Wegen, der Suche nach Verstecken und seinem eigenen Kampf gegen die Pest erzählen.
Oder seine Mutter würde es ihm erzählen, so Gott wollte.
»Er hat sich weit mehr als geärgert, mein Kind. Er war außer sich vor Zorn. Er sandte seine besten Soldaten aus, um uns zu fangen, aber wir hatten sehr viel Glück und entkamen ihnen.«
»Aber - warum wollte Mère aus England fort, wenn es doch ihre Heimat war?«
»Weil ihre Schwester Isabella mich hasste und sie in einem Schloss eingesperrt hatte und ihr wehgetan hätte, um mich leiden zu lassen.«
»Wie kann Euch jemand hassen?«
Süße Unschuld, dachte Alejandro. »Eines Tages werde ich dir auch etwas über den Hass erzählen, junger Mann, aber im Augenblick musst du mir einfach glauben, dass es so war. Sie war überzeugt, ich hätte ihr die Zuneigung einer ihrer Hofdamen geraubt. Diese Lady - ihr Name war Adele - wäre vielleicht meine Gemahlin geworden, wenn sie nicht gestorben wäre.«
Mit großer Ernsthaftigkeit fragte Guillaume: »Was ist dann mit Rachel? Grand-grand-père sagt, dass Ihr sie heiraten sollt.«
Alejandro zwang sich zu einem Lächeln, da er wusste, dass Guillaume sehr an Rachel hing und dass es dem Knaben sehr gefallen hätte, wenn sie und sein Grand-père geheiratet hätten. »Alte Leute glauben oft, ihre Ansichten seien es wert, mitgeteilt zu werden«, sagte er. »Diese Ansichten betreffen manchmal Dinge, die nur andere Leute etwas angehen. Er meint es gewiss gut, aber es sollte Rachel und mir überlassen bleiben,
ob wir das tun oder nicht. Ich hoffe, du erinnerst mich daran, dass ich meine Ansichten für mich behalte und nicht andere Leute damit belästige, wenn ich einmal alt bin. Nun, wo war ich stehen
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