Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Sie kamen von der Stelle, an der sich die Händler niedergelassen
hatten, um zu warten, ein paar Meter von ihm entfernt auf der anderen Seite eines Gebüschs. Die Büsche waren noch nicht voll belaubt, und so spähte er durch die Zweige, um mehr sehen zu können.
Einige Männer, darunter ein paar seiner Reisegefährten, drängten sich um etwas, das auf dem Boden lag. Alejandro schlang die Zügel seines Pferdes um den dünnen Stamm eines jungen Baums, ging um das Gebüsch herum und bahnte sich einen Weg durch die Menge. In ihrer Mitte auf dem Boden lag ein großer Mann, dessen enormer Bauch in die Höhe ragte wie ein kleiner Berg. Sein Gesicht war rot angelaufen, und die Zunge hing ihm aus dem Mund; schaumiger Speichel rann über sein Kinn und troff auf seinen engen Kragen. In seinen hervorquellenden Augen stand nackte Angst, während sein Blick stumm um Hilfe flehend hin und her schoss.
De Chauliacs Warnung klang ihm im Ohr. Gebt Euch vor allem nicht als Arzt zu erkennen. Ohne etwas zu tun, sah er gepeinigt zu, wie der Mann auf dem Boden nach Atem rang und sich sein Gesicht dunkelrot färbte. Sein Blick begegnete dem des verzweifelten Mannes, und er verspürte tiefe Scham, als er mit ansah, wie das Leben aus ihm wich. Als kein Zweifel mehr daran bestehen konnte, dass er tot war, blieb es einen Augenblick still, da keiner etwas zu sagen wagte, während die Seele den Toten verließ. Auf den Gesichtern der Umstehenden sah Alejandro den Schrecken und die Furcht, die für gewöhnlich mit einem unerwarteten Tod einhergehen. Sie bekreuzigten sich und sprachen ein stummes Gebet, bis einer der anwesenden Soldaten das Wort ergriff.
»Kennt jemand diesen Mann?«
Die Menge schwieg.
Der Soldat blickte einen seiner Kameraden an. »Sammel seine Sachen ein.« Der andere Soldat nickte und trat zu dem Toten, um seinen Reisesack und seinen Geldgürtel an sich zu nehmen. Daraufhin sah sich der erste Soldat in der Menge um, und sein Blick blieb an Alejandro hängen.
»Du da«, sagte er.
Alejandro rührte sich nicht und sagte nichts, während die Umstehenden ein wenig von ihm abrückten. Der Soldat zeigte auf den Boden. »Begrab ihn.«
Ein Spaten wurde gebracht, und während Alejandro ihn ein ums andere Mal in die weiche Erde stieß, tröstete er sich mit dem Gedanken, was hätte passieren können, wenn er vorgetreten wäre, um dem Mann zu helfen. Der Tote war weder besonders alt, noch sah er krank aus - seine Zeit war halt gekommen.
Als er fertig war, wischte er sich die Erde von den Händen und leistete im Stillen den Schwur, sich mit aller Kraft ans Leben zu klammern, und gewänne er dadurch auch nur eine einzige Stunde. Er stampfte die Erde auf dem Grab fest und dachte an seinen betagten Vater und fragte sich mit schlechtem Gewissen, wie es dem alten Mann bei Rachel wohl ergehen mochte. Er dachte an Rachel, deren Herz auf ein einziges Wort hin ihm gehören würde. Dann dachte er an Guillaume, dessen Zukunft, was auch immer die Geschicke für ihn bereithalten mochten, noch vor ihm lag. Er ließ seine Gedanken zurück zu Philomène schweifen, mit der er sein Leben teilen wollte, falls er die Gelegenheit dazu bekam. Er sehnte sich nach Kate, die im Augenblick nicht selbst über ihr Leben bestimmen konnte. Er blickte hinauf zu den Mauern von Calais und schwor sich mit neu erwachter Entschlossenheit, sie aus der englischen Gefangenschaft zu befreien und mit ihr zu denen zurückzukehren, die er liebte. Denn jeden Moment konnte Gott nach ihm greifen und ihn mit rotem Gesicht nach Atem ringend zu sich in die Ewigkeit holen.
Mit gesenktem Blick betrat Kate das Privatgemach des Königs, während die Wachen vor der Tür Posten bezogen.
»Ah, meine reizende Tochter«, sagte König Edward. Sie sah weg und verschränkte die Arme vor der Brust, als er mit ausgestreckter Hand auf sie zutrat. Schließlich machte sie einen
kleinen Knicks, als hätte sie es im ersten Moment vergessen.
»Wie entzückend«, sagte der König. »Aber unnötig - Ihr seid immerhin mein Kind, eine Prinzessin von königlicher Abstammung. Eure Schwester und Eure Brüder verstehen sich zu einer solchen Geste allenfalls dann, wenn jemand anwesend ist, der es sehen kann. Ich wüsste keinen Grund, warum Ihr Euch besser benehmen solltet als sie.«
Statt auf diese freundliche Anrede einzugehen, erwiderte sie: »Euer Majestät wünschtet mich zu sprechen?«
»Ja, in der Tat. Bitte«, er deutete auf einen mit prächtigen Schnitzereien verzierten Stuhl, »setzt
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