Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Sie nahm sich vor, ihn danach zu fragen, sobald ihr der Moment passend schien. Sie selbst träumte oft von Guillaume Karle, von seinen sanften Berührungen auf ihrer Haut. Ihr Gatte hatte nicht mit den Händen gearbeitet, sondern mit dem Verstand, und sein Wissen um das falsche Spiel seines Herrn hatte zu dem Aufstand geführt, der ihn das Leben kosten sollte - während Kate mit ihrer beider Sohn schwanger war. Er kam zu ihr, wenn ihr Schlaf am tiefsten war, und brachte sie mit seinen Küssen zum Glühen - Küsse, die unbeschreiblich süß und zärtlich waren. Guillaume war ein gewöhnlicher Mann mit vielen ungewöhnlichen Eigenschaften gewesen, und er hatte einen Traum gehabt, der dem Wohl seiner Gefährten mehr diente, als sie begriffen. So wie das große Sterben das Leben jedes Menschen veränderte, der in dieser Zeit lebte, veränderte
es auch den Lauf der Geschichte; Geknechtete, die es niemals gewagt hätten, sich gegen ihre Herren zu erheben, wurden sich nun ihres Wertes bewusst und der Macht, die damit verbunden war. Ohne ihrer Hände Arbeit hätte es keinen Ackerbau, keinen Handel, kein Handwerk und keine Reisen gegeben. Zum ersten Mal konnten sie einen Lohn fordern, der ihnen ein besseres Leben versprach. Guillaume, ein Mann der Zahlen, hatte das begriffen und sie zu einer kampfbereiten Streitmacht vereint. Er hatte sie - mit unleugbarem Mut - auf ihren ersten fehlgeleiteten Schritten in die Freiheit angeführt. Wie lange, fragte sich Kate, würde es dauern, bis das einfache Volk in Frankreich und in der Bretagne sich von Neuem gegen seine Herrscher erheben und nach Unabhängigkeit streben würde?
Jahrhunderte, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. Es war eine traurige Erkenntnis.
Sie merkte, dass ihr das Kinn auf die Brust sank, und zwang sich, wach zu bleiben; die Sonne hatte gerade erst ihren Zenit überschritten.
»Père«, sagte sie und berührte ihn sanft an der Schulter.
Alejandro schrak aus dem Schlaf hoch.
»Es ist Zeit aufzubrechen«, sagte sie.
Wortlos erhob er sich und schüttelte den Schlaf ab.
»Ich habe geträumt«, sagte er.
»Wir müssen weiter«, sagte sie. »Gewiss sind sie inzwischen mit ihren Hunden hinter uns her.«
»Was ist das?« Alejandro deutete auf den entrindeten Ast.
»Das wird ein Bogen«, erwiderte sie. »Wir brauchen noch andere Waffen außer unseren Messern. Pfeile sind leicht anzufertigen. Wir müssen nur die Augen nach etwas Geeignetem offen halten.«
Er nickte. »Nach Norden«, sagte er.
»Nach Norden«, wiederholte Kate. Sie bestiegen ihr Pferd und verließen den Wald, die Sonne jetzt zur Linken.
»Sie ritten eine Weile im Fluss und verließen ihn dann wieder«,
berichtete der Meuteführer Chandos. »Seid Ihr sicher, dass der Mann, mit dem sie unterwegs ist, ein Jude ist?«
»Ja, und er ist schlau und gerissen, wie alle seines Volkes. Aber genauso gut ist es möglich, dass sie diesen Einfall hatte«, sagte Chandos. »Wir müssen so tun, als würden wir zwei Männer verfolgen. Auf diese Weise wird es uns vielleicht gelingen, sie einzuholen.«
Er bemerkte die zweifelnden Mienen seiner Männer. »Immerhin ist sie die Tochter unseres Königs. Als sein Abkömmling verfügt sie über viele seiner Eigenschaften. Und unser König ist ein kluger Mann, nicht wahr?«
Sofort erhob sich ein Chor der Zustimmung.
»Er besitzt großes Geschick in der Kriegsführung, meint ihr nicht auch?«
Von allen Seiten waren laute Ayes zu vernehmen.
»Und auch seine Tochter verfügt über allerlei Talente, weitaus mehr als ihre Schwester, vielleicht ist sie darin sogar ihren Brüdern ebenbürtig.« Er warf einen Blick zu de Coucy und Benoît, die sich jeglichen Kommentars enthielten.
Die Ländereien in der Bretagne können doch nicht von solcher Bedeutung sein, dachte er, als er den lächerlichen kleinen Grafen betrachtete, dass König Edward ihm dafür seine eigene Tochter geben würde …
Unter den Männern wurde skeptisches Gemurmel laut, denn der Schwarze Prinz war ein brillanter Kämpfer; Chandos’ Behauptung, Kate sei ihm in dieser Hinsicht ähnlich, grenzte an Lästerung.
»Gebt es zu, Kameraden - manch eine brave englische Frau hat zum Schwert gegriffen und große Taten damit vollbracht.« Er blickte jeden der Männer einzeln an. »Viele von euch mögen sich noch an die Gräfin von Salisbury erinnern, die der Belagerung der Ländereien ihres Gatten mehr als zwei Wochen standhielt, während er in Frankreich kämpfte. Und einige von euch waren sogar dort und sahen
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