Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Menge Sachen für Medizin - Fledermausaugen, zermahlene Knochen, lauter ekliges Zeug. Das einzige Mittel, das tatsächlich hätte wirken können - nämlich der ›Staub der Toten‹, der eine Reaktion des Immunsystems hervorrufen konnte -, wurde dagegen nie erwähnt. Einige der Leute, die ausgelassenen Speck zu sich nahmen, überlebten tatsächlich, aber das taten sie aus anderen Gründen.«
An dieser Stelle kam die Polizistin in Lany zum Vorschein. »Woher weiß man das eigentlich alles? Nur vom Hörensagen? Denn dafür kann es ja wohl kaum echte Beweise geben.«
»Nein, keineswegs nur vom Hörensagen«, entgegnete Kristina. »Sie haben wie besessen Register geführt - über Geburten und Sterbefälle, eigentlich über jedes halbwegs bedeutsame Ereignis. Aber das alles wäre niemals ans Licht gekommen, wenn nicht in den neunziger Jahren in San Francisco etwas passiert wäre. Es gab da einen Schwulen, der seit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als noch keiner etwas über Aids wusste, in der Szene unterwegs war. Er besuchte über einen langen Zeitraum Dark Rooms und hatte laut eigener Aussage ›häufig wechselnde‹ Kontakte. Er war hochgradig dem Risiko ausgesetzt, sich mit HIV zu infizieren, aber weit gefehlt. Man testete ihn Dutzende Male, das Ergebnis war immer negativ. Um ihn herum starben seine Liebhaber und Freunde, Männer, mit denen er Körperflüssigkeiten ausgetauscht hatte,
aber es kann gut sein, dass er sich noch heute bester Gesundheit erfreut.«
Alle beugten sich gespannt vor, als könnten sie sie dadurch besser hören, obwohl Kristina keineswegs leise sprach. »Irgendwann kam dann ein Mediziner in San Francisco auf die Idee, dass es vielleicht sinnvoll wäre, zu untersuchen, was diesen Typen schützte. Sie nahmen alle möglichen Tests vor, unter anderem eine DNA-Aufarbeitung. Und tatsächlich, da war eine Abweichung auf CCR fünf. Er hatte zwei Kopien einer genetischen Mutation namens Delta zweiunddreißig.«
»Doppeldelta«, flüsterte Janie.
»Genau«, sagte Kristina und sah Janie erneut nachdenklich an. Dieses Mal verharrten ihre Augen jedoch länger auf ihr. Aber bevor Janie irgendetwas sagen konnte, fuhr Kristina fort:
»Sie nahmen eine Datierung der DNA vor und konnten feststellen, dass die Mutation das erste Mal vor etwa siebenhundert Jahren auftauchte, kurz vor der ersten Pest-Pandemie im vierzehnten Jahrhundert.«
Aufgeregtes Gemurmel hob an.
»Und dann testeten sie eine riesige Menge von Leuten, unter anderem solche, die sich im Endstadium von Aids befanden, solche, die infiziert waren, denen es aber gut ging, und solche, die zur Risikogruppe gehörten, sich aber nie angesteckt hatten. Die Ergebnisse waren wirklich aufsehenerregend - viele von den Leuten, die zur Hochrisikogruppe gehörten, sich aber nie infiziert hatten, hatten dieselbe Doppelmutation wie der erste Mann. Dagegen fand man bei keinem der Erkrankten eine solche Kopie der Mutation. Wirklich interessant war nun, dass die Leute, die eine Kopie hatten, sich zwar infizierten, aber sehr gut auf die Medikamente ansprachen und viel länger gesund blieben als die Leute, die keine Kopien hatten. Das ist der Grund, warum verhältnismäßig mehr Farbige innerhalb ihrer ethnischen Gruppe an Aids erkrankten - die Mutation entstand schließlich unter der Bevölkerung von Nordeuropa.
Nach weiteren Tests an großen Gruppen konnten die Forscher feststellen, dass die Mutation bei Schwarzen, Asiaten und aus Südamerika stammenden Hispanos nicht vorkam. Dafür bei vierzehn Prozent der Menschen keltischer und skandinavischer Abstammung.«
»Aber was hat das mit der Pest zu tun?«, fragte Evan.
»Die Infektionsmechanismen scheinen dieselben wie bei Aids zu sein. HIV und Yersinia pestis heften sich an dieselben Rezeptoren der Immunzellen, und beide tricksen das Immunsystem aus und bringen es dazu, die Mikrobe durch den Körper zu schleusen. Yersinia pestis dringt direkt in die Lymphknoten ein, weshalb Erkrankte am Hals und in den Leisten Schwellungen und Flecken bekommen. Von dort verbreitet es sich im ganzen Körper. Bei den Doppeldeltas kann die Mikrobe nicht an dem Rezeptor andocken, daher kann sie auch das Immunsystem nicht austricksen. Der Betreffende ist praktisch immun gegen die Pest und weitgehend resistent gegen HIV.«
Das waren eine ganze Menge Informationen, die alle erst einmal verdauen mussten, daher verfielen sie zunächst in Schweigen. Schließlich fragte Steve: »Warum wollen diese Typen jetzt wissen, ob unter
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