Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
nein, um ein Leben weiterzuleben, von dem er bereits jetzt wusste, dass es zu kurz sein würde, ganz gleich, wie lange es dauern mochte. Und um das tun zu können, würden sie diesem Mann entkommen müssen.
Doch zu zweit auf einem Pferd konnten sie ihm nicht davonreiten; Alejandro wusste, dass Chandos Benoîts Überreste ohne zu zögern zurücklassen und ihre Verfolgung aufnehmen würde, falls sie zu fliehen versuchten. Dennoch richtete er sich im Sattel etwas auf; Kate, der die stumme Geste des Widerstands nicht entging, klammerte sich fester an ihn.
»Sie ist meine Tochter, als wäre sie mein eigen Fleisch und Blut, und gewiss mehr als die Tochter des Mannes, dessen Lenden sie eine grausame Laune der Natur tatsächlich entspringen ließ. Sagt mir, warum ich sie nicht von dieser Insel fortholen sollte, auf der sie so vielen Gefahren ausgesetzt ist.«
»Weil ich Euch zum Kampf herausfordern werde, wenn Ihr es tut, und Ihr zugrunde gehen werdet. Und weil ich sie beschützen und Euch verschonen werde, wenn Ihr sie gehen lasst, das schwöre ich bei Gott. Ich werde Euch entkommen lassen - der König wird mich nicht dafür zur Rechenschaft ziehen,
wenn ich ohne Euch zurückkehre. Er will nur seine Tochter zurück.«
Alejandro ging mit keinem Wort auf das Angebot ein. Er deutete auf Benoît und sah dann wieder Sir John an. »Welches traurige Geschick widerfuhr Eurem Kameraden? Er sieht ganz und gar nicht wohl aus.«
Mit seiner freien Hand zog Chandos den Pfeil, den er aus Benoîts Brust entfernt hatte, aus seinem Köcher und warf ihn Alejandro zu. Der fing ihn instinktiv auf. Er betrachtete ihn kurz und warf ihn zurück.
»Gänsefedern«, sagte Chandos. »Einen Pfeil von dieser Art sah ich schon einmal.«
Jetzt war es an Kate, sich ein wenig aufzurichten.
»Sicherlich kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, wer diesen Pfeil von der Sehne schnellen ließ, in der Hast Eures Aufbruchs ließet Ihr ihn vielleicht fallen, und ein Räuber fand ihn und richtete ihn gegen den unglücklichen Grafen.« Er lächelte boshaft. »So oder ähnlich hat es sich vielleicht begeben.«
»Seid versichert, genau so war es«, sagte Alejandro. »Aber sagt mir, nur um meine Neugier zu stillen, wie wollt Ihr es bewerkstelligen, meine Tochter zu beschützen?«
Chandos ließ einige Zeit verstreichen, bevor er antwortete. »Ich werde sie selbst zur Frau nehmen.«
Auf diese Antwort war Alejandro ganz und gar nicht gefasst gewesen. Er hatte einen Schwur bei der Ehre des Ritters zu hören erwartet oder dass von einem Handel mit dem König die Rede sein würde.
»Aber - Ihr seid ein alter Mann!«
Chandos brach in lautes Lachen aus. »Ihr solltet einmal in den Spiegel sehen.«
»Ich bin ihr Vater, nicht ihr Gatte.«
Chandos wischte Alejandros Einwand beiseite und kam auf sein Angebot zurück. »Es ist nichts Ungewöhnliches für einen Mann meines Alters, sich eine junge Braut zu nehmen. Erfahrung ist bei einem Ehemann etwas Wünschenswertes,
habe ich mir sagen lassen. Wenn die Lady meinen Antrag annimmt, sind ihr Wohlergehen und ihre Stellung in der königlichen Familie gesichert.« Er sah Kate an, obwohl er weiterhin zu Alejandro sprach. »Ich gebe Euch mein Wort, dass ich sie gut und respektvoll behandeln werde. Es soll ihr an nichts fehlen.«
»Aber Ihr seid nahezu dreimal so alt wie sie und ein Soldat! Sie ist …«
»Sie ist was? Eine Frau, still und fromm? Lasst uns offen sprechen. Ich weiß, dass sie eine Frau von großer Tugend und Ehre ist, aber es gibt andere, die - mit einiger Berechtigung - behaupten würden, sie sei eine Hexe. Sie wurde zur Verräterin an ihrer Familie und - wenn meine Vermutung zutrifft - zur Mörderin, wiewohl das außer den hier Anwesenden niemals jemand zu erfahren braucht. Man kann sie zu Recht vieler schändlicher und bestrafenswerter Taten bezichtigen. Eine solche Frau bedarf jedweden Schutzes, der sich ihr bietet.«
Alejandro saß stumm da, verblüfft von der Schärfe in Sir Johns Rede. Dennoch bot sie das Versprechen, dass einer von ihnen diese Begegnung überleben würde.
Er drehte sich um und sah seine Tochter an.
»Père, bitte …«, sagte Kate leise. »Das muss ich selbst erledigen.«
Sie ließ sich aus dem Sattel gleiten, trat zu Sir John und sah zu ihm hoch. »Eure Worte sind hart, Sir, aber ich kann nicht leugnen, dass Ihr die Wahrheit sprecht über die Frau, die ich geworden bin. Ich will Euch um Nachsicht bitten; unter anderen Umständen hätte ich vielleicht einen gewöhnlicheren Weg
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