Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
»war seine Hand am Werk. Ich würde sie überall erkennen.«
»Der Mutterschoß«, sagte er.
Sie nickte. »Das, was ich tat, lässt mir keine Ruhe. Ich habe wohl tausendmal über mein Versagen nachgedacht, und ich sehe keinen Weg, wie ich zu einem glücklicheren Ergebnis hätte gelangen können.«
»Vielleicht gibt es den nicht.«
»Das kann ich nicht glauben. Gewiss wird der Tag kommen, an dem man Mutter und Kind retten kann, auch wenn die Wehen zu früh einsetzen.«
»Wenn das Gottes Wille ist«, erwiderte Alejandro, »dann wird es geschehen. In der Zwischenzeit müsst Ihr aufhören, mit Euch zu hadern. Es schadet Euch nur.«
»Und was ist mit Euch? Seid Ihr zu dieser Stunde, wenn selbst Gott ruht, wach, um Euch an der frischen Luft zu ergehen? Oder werdet Ihr von Euren eigenen Dämonen heimgesucht?«
»Ihr seid ebenso klug wie schön«, sagte er.
Seine Fingerspitzen streiften die ihren, als er seine Hand von der Zeichnung nahm. Eine Welle der Erregung überflutete ihn, ein Gefühl, das er seit allzu vielen Jahren nicht mehr verspürt
hatte. Sie zog ihre Hand nicht weg, sondern ließ sie, wo sie war, und sah ihm in die Augen.
In ihrem Blick lag all das, wonach er sich so lange gesehnt hatte: Anerkennung, Verständnis, vielleicht sogar so etwas wie Bewunderung.
»Mademoiselle«, flüsterte er, »darf ich um die Erlaubnis bitten, Euch zu küssen?«
Ein zartes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie beugte sich ein wenig näher zu ihm.
»Ihr dürft, Monsieur«, sagte sie.
Er berührte ihren Mund mit seinen Lippen, zuerst nur zögernd, dann mutiger. Als ihre Lippen sich trafen, hielt er inne, um das Gefühl auszukosten. Er ergriff ihre Hand und spürte, wie ihre Wärme durch seinen Körper strömte.
Später, als er in seine Kammer zurückkehrte, strich er mit den Fingern über die Stelle auf seiner Brust, an der man ihn in Cervere mit dem Eisen gebrandmarkt hatte. Er spürte nichts mehr davon, aber es war noch ein schwacher Abdruck von dem kreisförmigen Brandzeichen zu sehen. Es hätte auch mein Gesicht sein können, sagte er sich. Es wäre schrecklich gewesen, auf diese Weise verunstaltet zu sein. Er nahm den Kuss mit in den Schlaf. Nicht lange danach wurde er von einem Traum heimgesucht; er ging durch einen Wald, und Adeles Geist erschien ihm.
Liebster, rief sie ihm zu. Es war jedoch nicht der flehende Ruf früherer Träume, in denen sie sehnsüchtig die Arme nach ihm ausgestreckt hatte. Stattdessen kam es Alejandro im Schlaf so vor, als wolle sie ihn nur grüßen, ein paar angenehme Augenblicke in seiner Gesellschaft verbringen. Nach einer Weile verschwand sie wieder still zwischen den Bäumen. Als Alejandro am nächsten Morgen erwachte, stand Jean an seinem Bett. Er warf einen Blick auf das Lager und sah, dass Guillaume noch tief und fest schlief.
»Monsieur de Chauliac wünscht Euch zu sehen«, sagte der Alte.
Alejandro wusch sich rasch und zog sich an. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihm neue graue Fäden in seinen gewellten dunklen Haaren; er band sie mit einem Lederband zusammen und fragte sich, was eine Frau an einem in die Jahre gekommenen Mann wie ihm anziehend finden mochte. Er folgte Jean nach unten, wo de Chauliac ihn im Speisesaal erwartete.
In der Mitte des Tisches stand eine Schale mit Obst und Brot. »Bitte, Kollege, leistet mir Gesellschaft.«
Alejandro setzte sich seinem Freund und Lehrer gegenüber.
»Ich hoffe, Ihr seid erfrischt.«
»Kaum«, sagte Alejandro. »Ich blieb viel zu lange wach und dachte an die Tage, die vor mir liegen.« Von seiner Begegnung mit Philomène sagte er nichts.
»Ah«, erwiderte de Chauliac. »Verständlicherweise seid Ihr besorgt. Es hätte mich erstaunt, wenn es nicht so wäre.«
»Ich kam vorm Schlafen nach unten, in der Hoffnung, Euch anzutreffen, aber Ihr wart wohl bereits zu Bett gegangen.«
»Ja«, sagte de Chauliac. »Die Reise, Ihr versteht. Sie hat mich sehr erschöpft. Und mich plagt ein leichter Anfall von Rheumatismus. Aber seid unbesorgt, das rührt nur von meinem Alter her.«
Alejandro nickte. »Auf die eine oder andere Weise fordert es von jedem von uns seinen Tribut.«
»Wenn ihm nicht etwas anderes zuvorkommt. Aber Ihr habt eine weitere Reise vor Euch«, fuhr de Chauliac fort. »Deshalb wollte ich mit Euch sprechen.«
»Das dachte ich mir.«
»Ich erhielt eine Nachricht von einem meiner Gewährsmänner.«
»Ah. Eure ›Gewährsmänner‹. Sie zeichnen sich schon seit jeher durch eine Vielzahl von Talenten aus.«
»Mehr,
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