Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Überprüfung bedurften, lagen vor ihnen auf dem Tisch. Schon bald hatten sie einen bestimmten Rhythmus gefunden: Alejandro las jeweils einen Abschnitt vor, und sie erörterten die Formulierungen. Anschließend schrieb Philomène die Verbesserungen nieder, damit de Chauliac sie später durchgehen konnte. Hin und wieder debattierten sie lange über Dinge, die jedem, der de Chauliac nicht so gut kannte wie sie, unbedeutend erschienen wären. Oft ging es dabei um ein einzelnes Wort, das der eine angemessen fand, der andere nicht.
Von Schwellungen, von Krampfadern und Stauungen der Pfortader und von außergewöhnlichen Vergrößerungen …
Vergrößerungen, Verdickungen, Geschwülsten … Sie überlegten hin und her und entschieden sich schließlich für den ersten Begriff.
Von Zeit zu Zeit verließ Alejandro die Studierstube und sah nach Guillaume, dessen neuer Freund recht freundlich zu sein schien. Alejandro versetzte es kurz einen Stich, als er feststellte, dass der Knabe seinen Großvater offenbar nicht vermisste. Aber es erlaubte ihm, all seine Aufmerksamkeit der Arbeit zu widmen; sie saßen bis tief in die Nacht über dem Buch und nahmen sogar das Nachtmahl in ihrer Studierstube ein, wenn
alle anderen Mitglieder des Haushalts, einschließlich de Chauliac, bereits zu Bett gegangen waren.
Jeden Tag, wenn sie ihr Werk beendet hatten, kümmerten sie sich gemeinsam um die Gerätschaften, arbeiteten in stiller Freude Seite an Seite. Eines Abends, als er die Geräte säuberte, um sie anschließend wieder wegzuräumen, warf er einen Blick zu Philomène und sah, dass sie die Seiten, an denen sie an diesem Tag gearbeitet hatten, fein säuberlich ordnete. Sie merkte nicht, dass er sie beobachtete, weil er unterdessen weiter mit den Instrumenten klapperte. Ihm wurde bewusst, wie vertraut ihm diese Frau inzwischen geworden war.
In dieser Weise sollten Mann und Frau ihre Zeit miteinander verbringen, dachte er. Für einen Moment wanderten seine Gedanken zu Rachel und dem unschätzbaren Dienst, den sie seiner Familie in Avignon erwiesen hatte. Wie viele Male hatte sein Vater ihn gedrängt, ihm nahezu befohlen, sie zu heiraten? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Tief in seinem Herzen wusste er, dass sie ihm eine gute und pflichtbewusste Ehefrau gewesen wäre. Mit der Zeit hätte er sie zu schätzen gelernt, wie sein Vater gesagt hatte. Und er wusste, dass darauf zweifellos auch Rachel selbst gehofft hatte.
Aber er hätte sie niemals aufrichtig lieben können, nicht so, dass er sie hätte bitten können, mit ihm das unsichere Leben zu teilen, das vor ihm lag. Adele hatte er mit einem Teil seines Herzens geliebt, von dem er vorher nicht einmal geahnt hatte, dass es ihn gab. Dieses Gefühl musste ihm von da an auf ewig versagt sein; die Gefahren der damaligen Zeit, die Übermacht ihrer Empfindungen, seine eigene jugendliche Unschuld - das alles war ein für alle Mal vorbei. Aber Philomène war eine Geistesverwandte, ja sogar eine Seelenverwandte. Inzwischen waren ihm die gemeinsam verbrachten Stunden unsagbar kostbar geworden.
Sie sah von ihren Schriftstücken auf und begegnete seinem Blick. Bei ihrem Lächeln vergaß Alejandro für einen winzigen Augenblick, wie sehr er seine Tochter vermisste.
Als Alejandro am nächsten Morgen in de Chauliacs Gemach gerufen wurde, nahm er an, dass dieser mit ihm über die Fortschritte der Arbeit an der Cyrurgia sprechen wollte. Schon bald ließ ihn der Ausdruck auf dem Gesicht seines Mentors jedoch erkennen, dass dies nicht der Fall war.
Auf einem mit Gold verzierten lackierten Tablett am Fußende des Bettes lag ein Brief. Das Siegel war erbrochen. De Chauliac deutete mit einem Nicken darauf. »Nur zu«, sagte er. »Lest.«
Alejandro nahm den Brief. Er warf rasch einen Blick auf das Siegel, dann sah er wieder de Chauliac an.
»Ich erhielt ihn im Jahr 1349, im Hochsommer. Öffnet ihn und lest, was der König von England zu Eurer Flucht mit Kate zu sagen hatte.«
Alejandro rollte das Schriftstück auseinander und begann zu lesen. Er war in einer eleganten Handschrift in höfischem Französisch verfasst und begann mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln, die er nur überflog. Der Brief war in keinem freundlichen Ton gehalten, aber er ließ auch keinen Zorn erkennen. Er schritt nervös auf und ab, während seine Augen über die Zeilen glitten.
Wir finden es in der Tat merkwürdig, dass der Medicus, den es Euch beliebte auszuwählen und an Unseren Hof zu schicken, ein Mann von, wir
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