Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
sein Herz mit Freude, aber diese war nur von kurzer Dauer. »Ich soll mich nicht zu plötzlich von Euch abwenden«, sagte er, »um Euch keinen Schmerz zu bereiten. Wir können noch ein- oder zweimal zusammenkommen, um über die Einzelheiten unseres Vorhabens zu sprechen. Aber wir
müssen vorsichtig sein, damit er mich nicht ganz und gar aus Eurer Gegenwart verbannt.«
»Wenn ich diesen Ort hier verlassen habe, werde ich Euch vielleicht nie mehr wiedersehen«, sagte sie mit trauriger Stimme.
Chaucer trat zu ihr und legte seine Hände um ihre Taille. »Wenn Ihr von hier fort seid und Euch mit Eurem Sohn in Sicherheit befindet, werdet Ihr meiner Gesellschaft nicht mehr so sehr bedürfen wie jetzt. Es bereitet mir sowohl Freude als auch Leid, dies zu wissen.«
»Freude und Leid sind oftmals eins«, erwiderte sie, »und auch in einem Leben außerhalb dieses Gefängnisses verlangte es mich nach Eurer Gesellschaft, bestimmt. Ihr zaubert selbst hier ein Lächeln auf meine Lippen. Stellt Euch mein Lächeln vor, wenn mein Herz von seinen Ketten befreit wäre.«
»Diese Vorstellung wird meine vornehmste Aufgabe sein«, sagte er. »Und nun beflügelt meine Phantasie ein wenig.« Er zog sie zu sich heran und küsste sie. Als er keinen Widerstand spürte, nahm er sie fest in seine Arme.
Als Chaucer am nächsten Morgen das königliche Privatgemach betrat, ließen die Sonnenstrahlen, die durch das schmale Fenster fielen, nur die Silhouette des Königs erkennen. Der vorstehende Bauch und die hängenden Schultern des Königs nahmen sich gegen das Licht äußerst unvorteilhaft aus. Der junge Mann räusperte sich, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.
»Guten Morgen, Chaucer«, sagte der König.
»Ich wünsche Euch ebenfalls einen guten Morgen, Euer Majestät. Ich habe den besudelten Brief abgeschrieben. Soll ich das Siegel für Euch anbringen?«
Vor dem König lagen zwei Stapel mit offiziellen Schriftstücken. Der Stapel, den er noch lesen musste, war um einiges höher als der, mit dem er bereits fertig war. »Ich hoffe, Ihr habt keine Kriegserklärung in das Schriftstück eingefügt.«
»Aber nein, Sire«, erwiderte der junge Mann. Er lachte, leider viel zu nervös, wie er fand.
»Nun gut, Ihr wisst, wo es ist.«
Chaucer eilte zum Schreibtisch, bevor es sich der König anders überlegen konnte. »Erlaubt mir, es dem Boten sofort zu überbringen. Schließlich lag es an meiner Ungeschicklichkeit, dass sich die Fertigstellung verzögerte.«
»Sehr liebenswürdig von Euch, Master Chaucer. Mein Knappe wird Euch dankbar sein für die Muße, die Ihr ihm verschafft.«
»Stets zu Diensten, Sire.«
Er eilte davon, einen Brief in der Hand, den anderen in seinem Ärmel, beide versiegelt.
Auf einer Holzbank standen ordentlich nebeneinander aufgereiht Kessel und Becher und Messkellen. An einem Gestell in einer der Ecken hing ein vollständiges menschliches Skelett. Überall lagen Zeichnungen herum, auf denen innere Organe abgebildet waren, von de Chauliacs eigener Hand gefertigt, wie jene, die ihm Philomène in der Bibliothek gezeigt hatte. Alejandro stand ehrfürchtig inmitten all dieser Schätze und ließ sie auf sich wirken.
Mit einem strahlenden Lächeln trat Philomène ein. Sie trug ein schlichtes blaues Kleid und eine Schürze mit vielen tiefen Taschen. »Ein wunderbarer Morgen«, sagte sie. »Gott sei dafür gedankt.«
Er nahm ihre Hand. »Gott sei für Eure süßen Lippen gedankt.«
»Und für die Euren.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen zarten Kuss, verharrte einen Augenblick lang so. »Ein Vergnügen, von dem ich dachte, dass es mir niemals zuteilwerden würde! Und jetzt werden wir die Freude haben, gemeinsam unsere Kunst auszuüben.«
»Mein Glück versetzt mich immer wieder in Erstaunen.« Er blickte sich in der Studierstube um und war aufs Neue überrascht
von dem, was er sah. »Die Ausstattung ist noch besser, als ich es mir vorgestellt habe.«
»Ich weiß. Ich fürchte, wenn ich jemals gezwungen bin, woanders zu arbeiten, wird mir im Vergleich zu dem hier alles unzulänglich erscheinen.«
»Nun fehlt nur noch der Meister selbst, damit wir beginnen können.«
»Ah«, sagte sie. »De Chauliac wird sich heute nicht zu uns gesellen, er liegt noch zu Bett und ruht.«
Seine Enttäuschung darüber wich gleich darauf der Erkenntnis, dass er somit Philomène den ganzen Tag für sich allein haben würde.
»Dann lasst uns beginnen«, sagte er.
Die ersten Seiten, die der Korrektur und
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