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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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nicht sagen kann, wo die eine anfängt und die andere aufhört. Ein Jahr später waren wir verheiratet, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Wir bekamen Kinder und ehrten Gott und die Familie… bis eines Tages der Wind kam und die Wolken wieder trennte.«
    Ich warte, dass er weiterspricht.
    »Das war nicht fair. Es mag merkwürdig klingen, aber mir wäre es lieber gewesen, wir hätten gemeinsam sterben können wie der Zar und seine Familie.«
    Yao wartet auf einen Kommentar von mir, aber ich bleibe stumm. Ich spüre, dass er noch nicht fertig ist. Es scheint, als wären die Geister der Toten tatsächlich an unserer Seite.
    »Als ich sah, wie Sie und die junge Frau einander ansahen, im Zug, zwischen den Waggons, fühlte ich mich an den ersten Blick erinnert, den meine Frau und ich tauschten, und daran wie ich sofort das Gefühl hatte, sie endlich wiedergefunden zu haben, noch ehe wir die ersten Worte miteinander wechselten. Und hierhergebracht habe ich Sie, weil ich Sie fragen wollte, ob Sie sehen, was wir anderen nicht sehen, und mir sagen können, wo meine Frau jetzt ist.«
    Also hat er miterlebt, wie Hilal und ich ins Aleph eingetreten sind.
    Ich schaue mich in der Kirche um und danke ihm dafür, dass er mich hierhergebracht hat. Dann schlage ich vor, dass wir unseren Spaziergang fortsetzen.
    »Ich hoffe, Sie werden dem Mädchen nicht weh tun. Jedes Mal, wenn ich sehe, wie sie Sie anblickt, kommt es mir vor, als würden Sie beide sich schon sehr lange kennen.«
    Ich finde, dass ihn das eigentlich nichts angeht.
    »Sie haben mich im Zug gefragt, ob ich Sie heute Abend begleiten möchte. Gilt das Angebot noch? Wir können später noch über all das reden. Übrigens: Wenn Sie je gesehen hätten, wie ich meine schlafende Frau beobachte, würden Sie in meinen Augen sehen, warum wir seit fast dreißig Jahren verheiratet sind.«
     
    ***
     
    Gehen ist Balsam für Körper und Seele. Wenn ich gehe, kann ich mich ganz auf den gegenwärtigen Augenblick konzentrieren, denn nirgendwo anders sind die Zeichen, die parallelen Welten, die Wunder zu finden. Die Zeit gibt es in Wirklichkeit gar nicht: Yao kann über den Tod des Zaren sprechen, als wäre er gestern gewesen, und von seiner verlorenen Liebe, als wären seit diesem Verlust nur Minuten vergangen. Ich dagegen erinnere mich an den Moskauer Bahnhof wie an etwas, das in einer fernen Vergangenheit liegt.
    Wir setzen uns in einen Park und beobachten das Treiben. Frauen mit Kindern, Männer, die im Laufschritt vorbeieilen, Jungs, die um ein laut aufgedrehtes Radio herumstehen, ihnen gegenüber Mädchen, die kichernd ihre Köpfe zusammenstecken, alte Leute in langen Wintermänteln, obwohl es Frühling ist. Yao geht zu einem Stand und kauft zwei Hotdogs.
    »Ist es schwer, Bücher zu schreiben?«, fragt er, als er mir meinen Hotdog reicht.
    »Nein. Ist es schwer, so viele Fremdsprachen zu lernen?«
    »Auch nicht. Man muss nur aufmerksam sein.«
    »Aufmerksam bin ich immer, aber trotzdem nie über das hinausgekommen, was ich in der Schule gelernt habe.«
    »Ich habe gar nicht erst versucht zu schreiben, weil man mir als Heranwachsendem immer gepredigt hat, wenn ich Schriftsteller werden wolle, müsse ich fleißig lernen, langweilige Bücher lesen und Kontakt zu Intellektuellen pflegen. Und dabei kann ich Intellektuelle nicht ausstehen.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob diese Bemerkung für mich bestimmt ist, ein Bissen Hotdog enthebt mich einer Antwort. Ich denke wieder an Hilal und das Aleph. War es möglich, dass diese Erfahrung sie so erschreckt hat, dass sie die Reise hier in Jekaterinburg abbrechen will? Schließlich wohnt sie hier. Vor ein paar Monaten noch wäre ich verzweifelt gewesen, wenn ein spirituelles Erlebnis wie dieses einfach mittendrin aufgehört hätte; meine ganze Entwicklung schien einzig davon abzuhängen. Aber die Sonne scheint, und wenn die Welt heute so friedlich aussieht, dann deshalb, weil sie es tatsächlich ist.
    »Was braucht man, um zu schreiben?«, will Yao wissen.
    »Liebe. So wie Sie Ihre Frau geliebt haben. Besser gesagt, wie Sie Ihre Frau lieben.«
    »Ist das alles?«
    »Schauen Sie sich diesen Park an. Hier gibt es jede Menge Geschichten und obwohl sie alle schon oft erzählt wurden, lohnt es sich trotzdem, sie immer wieder neu zu erzählen. Der Schriftsteller, der Sänger, der Gärtner, der Übersetzer, wir alle sind ein Spiegel unserer Zeit. Wir alle geben Liebe in unsere Arbeit. Wer sich nur an Schreibkurse und Lehrbücher

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