Alera 02 - Zeit der Rache
und wählte meine Worte sorgsam. Was ich jetzt tun musste, gefiel mir nicht, doch mir blieb einfach keine andere Möglichkeit.
»Du hast nicht die Pflicht zu melden, was ich dir jetzt sagen werde«, ließ ich ihn wissen, und seine verhohlene, aber dennoch ersichtliche Erleichterung verursachte mir Schuldgefühle. »Noch vor deinem Hauptmann schuldest du mir Loyalität, also ist es sogar deine Pflicht, wie von mir gewünscht Stillschweigen zu bewahren.«
Ich sorgte mich nicht, dass Destari mit der Information, die ich ihm geben würde, zu Steldor ginge. Ich hatte eher Bedenken, dass er sich Cannan anvertrauen würde. Aber wenn das Ausnützen meiner Position die einzige Chance war, mein Geheimnis als solches zu erhalten, dann musste es eben so sein.
Ich hatte erwartet, dass er mich wie ein Betrogener ansehen würde, denn in Wirklichkeit hatte ich ihn in eine Falle gelockt. Stattdessen sprach aus seinem Blick die pure Neugier.
»Worum geht es, Alera? Offensichtlich bedrückt Euch etwas.«
»Narian war hier. Im Palast.«
»Was?«, rief er, und ich bedeutete ihm hastig, leiser zu sprechen. Daraufhin keuchte er: »Wann?«
»Gestern Abend. Als alle in der Großen Halle debattierten. Er will mich heute Abend auf dem Landgut seines Vaters treffen, allein. Aber ich brauche ein Pferd, um dorthin zu gelangen. Du musst mir helfen, an eines zu kommen – und den Palast wie auch die Stadt ungehindert zu verlassen. Danach werde ich allein weiterreiten.«
»Ich werde Euch nicht allein dorthin lassen«, erklärte er und an seiner Miene war abzulesen, dass er mich offenbar für verrückt hielt.
»Aber ich muss. Narian wird mir Informationen sowohl über Miranna als auch über London liefern. Informationen, die ich, die wir brauchen. Und er hat darauf bestanden, dass ich allein komme. Ich soll niemanden mitbringen.«
»Das sollte Miranna laut Temersons Nachricht damals auch nicht.«
Trotz der Eiseskälte in seiner Stimme musste ich anerkennen, dass er recht hatte. Destari hatte Narian nie ganz über den Weg getraut, und das konnte ich auch jetzt nicht von ihm erwarten. Ebenso wenig konnte ich davon ausgehen, dass er verstand, warum ich das noch tat, wo Narian doch bei den vermeintlichen Verhandlungen neben der Hohepriesterin gestanden hatte. Ich hätte wissen sollen, dass Destari mich niemals unbewacht zu jemand lassen würde, in dem er eine Bedrohung sah. Und zwar unabhängig davon, ob er seinem Hauptmann darüber Bericht erstattete oder nicht.
»Na gut. Dann komm eben mit mir, wenn du willst.«
Zwar schien es mir das Beste, wenn Destari mich begleitete, aber ich machte mir dennoch Sorgen. Würde Narian bereit sein, offen zu reden, wenn einer der Männer zugegen war, die ihm während seiner Zeit in Hytanica am heftigsten misstraut hatten?
Destari nickte feierlich und erhob sich. »Wartet hier auf mich. Ich werde die Pferde besorgen und mich dann Casimirs Hilfe bedienen, um Steldor andernorts im Palast zu beschäftigen, wenn ich Euch holen komme.«
»Ich danke dir«, sagte ich leise, woraufhin Destari sich verneigte und ging.
Als es so weit war, warf ich mir rasch einen schwarzen Umhang über die Reithose und die Bluse, die ich angezogen hatte, bevor ich Destari die Tür öffnete. Noch im Gehen steckte ich mein Haar zu einem tief sitzenden Knoten auf. Mein Leibwächter brachte mich durch den Dienstbotenausgang aus dem Schloss, sodass wir westlich der Gartenmauer ins Freie traten. Ich zerbrach mir nicht lange den Kopf darüber, wie Destari es geschafft haben mochte, dass in diesem Bereich keine Palastwache auf dem Posten war, aber ich vermutete, als Hauptmannstellvertreter hätte er durchaus Mittel und Wege.
»Man darf uns nicht sehen«, ermahnte er mich. »Sonst würden Fragen gestellt.«
Die sinkende Sonne warf orange- und rosafarbene Schlieren an den Himmel und Destari führte mich gen Westen, weg vom Palast und in den kleinen Obstgarten, der zwischen dem Schlosspark und der Kaserne lag. Zwischen den Bäumen versteckt warteten dort zwei Pferde auf uns. Wir saßen auf und ritten in unverdächtigem Tempo nach Süden in Richtung Marktviertel. Ich begriff, dass Destari möglichst lange die Hauptstraße meiden wollte, die die Stadt in zwei Hälften teilte.
In den meisten Läden, die wir passierten, war zu so später Stunde keine Kundschaft mehr, aber ich verbarg mein Gesicht dennoch unter der Kapuze meines Umhangs, um nicht erkannt zu werden. Destari dagegen nickte den wenigen, ohnehin beschäftigten Menschen, an denen
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